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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Und es gibt nur noch DEN DÜSTEREN MARSCH , den Wind, zerfetzte Wimpel und ein Geräusch wie von Seide, die jemand langsam, fast wollüstig, in lange, unregelmäßige Streifen reißt...
     
    Der letzte Donnerstag im Februar 1970 war nach mehreren Wochen der erste sonnige Tag. In Kungsängen morgens um halb sieben gab es vorerst nur einen roten Streifen am Horizont, der restliche Himmel war schwarzgrün. Das Thermometer zeigte minus 23 Grad, und Siskan schimpfte mit Tom, weil er trotzdem keine langen Unterhosen anziehen wollte. Ich trank meinen schwarzen Kaffee und blätterte lustlos in Dagens Nyheter . Gerüchte über eine Kabinettsumbildung. Es war wohl ziemlich klar, daß unser Ministerium einem anderen einverleibt werden würde, wenn es dazu käme. Aber ich glaubte kaum, daß es vor dem Herbst soweit sein könnte.
    Tom ist wirklich lieb, er hat so niedliche abstehende Öhrchen, und wenn er wütend wird, zum Beispiel weil man ihn dazu zwingen will, lange Unterhosen anzuziehen, so daß ihn die Kameraden in der Turnstunde auslachen werden, laufen sie ganz rot an. Er hat ein sonderbares Hobby nach dem anderen. Letzten Winter sammelte er Briefmarken wie verrückt.
    In diesem Winter hatte er angefangen, Flugzeuge aus Plastikmodellen zu basteln, und hat ziemlich schnell sämtliche Flugzeugmodelle aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg in Plastik nachgebaut.
    Am Abend davor, als ich bei ihm im Zimmer war, um ihm gute Nacht zu sagen – ich komme ja nicht so oft dazu, mit ihm zu reden, wie ich es gern täte –, hatte er mir ausführlich den Unterschied zwischen einer Messerschmidt 109 und einer Focke-Wulf 200 erklärt.
    Mir ist sein Interesse für etwas so Militaristisches ein wenig unangenehm, aber vermutlich ist es ganz unschuldig. Ihn interessiert die Systematik, es ist ein Herbarium, was er da anlegt.
    Siskan, winterbleich, in einem alten gelben Morgenmantel aus Frottee. Ihr Profil wird mit den Jahren immer magerer und schärfer.
    Ich ließ den Volvo warmlaufen, es ging ganz schnell, und fuhr in die Stadt hinein, während die Morgendämmerung langsam heraufzog. Der Himmel war prachtvoll rot, als ich am Norrtull ankam, es gab viel weniger Verkehr als gewöhnlich, das hing bestimmt mit der Kälte zusammen. Der Rauch aus den Ölfeuerungsanlagen stieg kerzengrade in die Luft, es dampfte vom Strömmen herauf, die Möwen flatterten unruhig hin und her, wie sie das in der Kälte zu tun pflegen.
     
    Ich hatte kaum meinen Mantel aufgehängt und mich an meinem Schreibtisch niedergelassen, als auch schon das Telefon klingelte. Ein Mensch, von dem ich noch nie etwas gehört hatte, sein Name war Fryxell, er war offenbar vom Innenministerium, fragte mich, ob ich irgendwann im Laufe des Tages eine halbe Stunde erübrigen könne, um zu einem Gespräch herüberzukommen.
    Ich sagte, bei mir stapelten sich die Papiere von einer Konferenz in Varberg, und ob es sehr unhöflich sei, ihn zu bitten, statt dessen mit mir Mittag zu essen.
    – Das geht schlecht, sagte er. Es dauert wirklich nicht lange, aber es wäre gut, wenn wir in aller Ruhe miteinander reden könnten.
    – O.K., sagte ich. Ich versuche, um Viertel nach elf hinüberzukommen.
     
    Agneta Tillich war schon seit einigen Tagen nicht dagewesen. Sie hatte mich eines Vormittags im Büro angerufen und ein bißchen geplaudert. Sie hatte behauptet, mit einer Grippe im Bett zu liegen, und ich hatte sie sehr ausführlich gefragt, was sie anhabe, wie es in dem Zimmer aussähe, in dem sie lag. Sie hatte sogar die Vögel vor dem Fenster beschrieben.
    Aber das alles auf eine sehr wohlerzogene, etwas ängstliche Art. Ich wurde nicht schlau aus ihr.
     
    Der Pförtner begleitete mich rasch durch die Korridore zu Fryxells Zimmer.
    Er entpuppte sich als ein großer, blonder, etwas unbeholfener Mann mit beginnender Glatze, der Typ des netten Kerls. Er duftete schwach nach Rasierwasser und gab sich sehr kollegial.
    Ich hatte gleich das unbestimmte Gefühl, ihn schon mal irgendwo gesehen zu haben, und das stimmte.
    – Ich weiß nicht, ob du dich noch vom Kgl. Uppländischen Regiment her an mich erinnerst, sagte er. Ich war dort 1956 Leutnant bei der Leibgarde, und du hast mal als Funker an einem Manöver teilgenommen. Erinnerst du dich noch an Hauptmann Arnold?
    – Ja, der war in Ordnung, sagte ich. Ach, ich glaube sogar, ich erinnere mich, jetzt, wo du es sagst. War es nicht bei der Schießübung des Chefs im Februar 1957? Ich weiß noch, daß es mir ziemlich schlecht ging. Ich hatte

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