Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
Nilén, müsse seine Dienstleistungen verkaufen. Die Zeit der alten Beamtenmentalität sei vorbei. Wir müßten einsehen, daß wir es mit einem Markt zu tun hätten. Diesen Markt müsse man analysieren. Daß unser Markt in Wirklichkeit aus Ministerien, Behörden und Institutionen bestehe, ändere nichts daran, daß es trotzdem ein Markt sei.
Gegen Nachmittag hing eine Dunstwolke von Zigarettenrauch über den Tischen, an denen die Arbeitsgruppen saßen. Svanhede war wieder draußen und telefonierte – sein ständiges Gerenne ging uns allmählich ziemlich auf die Nerven. Die Aschenbecher quollen über von Zigarettenstummeln und den Kronkorken der Mineralwasserflaschen.
Aus dem Sensitivity-Trainingszentrum waren rhythmisch Klageschreie zu hören, fast als werde jemand langsam zu Tode gepeitscht. Wir scherten uns einen Dreck darum. Ich selbst hatte dröhnende Kopfschmerzen, die sich jedesmal verstärkten, wenn ich zu einer der Neonröhren an der Decke hochsah.
Agneta Tillich gehörte zu den wenigen, die immer noch frisch aussahen. In ihrer Eigenschaft als Dame saß sie auf einem der wenigen wirklich bequemen Stühle, fast einem Sessel, und wippte mit übereinandergeschlagenen Beinen.
Mir fiel auf, daß sie heute viel dunklere, viel ernstere Strümpfe anhatte als gestern.
Es wurde hin- und hergeredet. Der Krisenbegriff tauchte wieder in der Diskussion auf, aber jetzt auf eine viel gereiztere Art: Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen, alte Intrigen und alte Wunden kamen allmählich ans Licht, notdürftig bemäntelt.
Myhrquist war sehr unwirsch, sauer und zugeknöpft, weil jemand behauptet hatte, die Statistik sei nicht detailliert genug.
Ich interessierte mich intensiv für Agneta Tillichs Bauch. Er war von der breiten, kräftigen Art und zeichnete sich schwach unter ihrem Pullover ab. Obwohl ich mittlerweile wußte, wie er aussah, fesselte er mich so sehr, daß ich den Blick nicht abwenden konnte.
Svanhede kam zurück und beklagte sich über die schlechte Luft im Raum. Wir machten fünf Minuten Pause, um zu lüften. Die Dunkelheit war schon längst angebrochen. Eiskalte Luft drang herein.
Die Schreie aus der Sensitivity-Abteilung des Hotels hatten nachgelassen, sie waren aber hin und wieder noch zu hören, wenn jemand eine Pause machte. Sie klangen jetzt ein bißchen erschöpfter.
Und Pausen entstanden jetzt immer häufiger. Die meisten von uns begannen sich darüber klarzuwerden, daß wir dabei waren, den Schlußstrich unter eine Niederlage zu ziehen.
ALS ICH DAS TURMLUK ALS ERSTER ÖFFNETE, BOT SICH MIR EIN FASZINIERENDER ANBLICK. RINGSUM WAR DAS MEER MEILENWEIT VON DEM BRENNENDEN SCHIFF ERLEUCHTET. EINE RIESIGE FEUERSÄULE STIEG MITSCHIFFS AUF. ICH RICHTETE DAS FERNGLAS AUF DIE MEERESFLÄCHE ZWISCHEN MIR UND DEM BRENNENDEN RUMPF. DORT WIMMELTE ES VON BOOTEN. ICH MUSTERTE LANGE UND FINSTER DIE FLAGGE AM ACHTERMAST, DIE NOCH DANN UND WANN IN DEN FLAMMEN ZU SEHEN WAR. ES WAR KEIN ZWEIFEL MÖGLICH: DIES WAR EIN SPANISCHES SCHIFF.
WITTFOGEL, SAGTE ICH: DAS SCHIFF IST NEUTRAL. ES DARF KEINE ZEUGEN DIESES ZWISCHENFALLS GEBEN.
WITTFOGEL, LASSEN SIE DIE MASCHINENGEWEHRE SPRECHEN!
Wittfogel gibt sich zu erkennen
Wittfogel gibt sich zu erkennen
DER DÜSTERE MARSCH , jetzt etwas schneller gespielt, noch schadenfroher, aber mit einem Hauch von Unwirklichkeit in den hohen Bläserstimmen, wie flatternde Wimpel, die sich im Wind entfalten.
Jetzt beginnt der Alptraum, und ich muß mich besser in den Griff bekommen, um erzählen zu können, denn es gibt in meinem Bericht keine einzige Stelle, an der nicht jemand behaupten könnte, ich würde lügen, ich hätte das alles nur erfunden, ich sei übergeschnappt, irgendwas sei wohl in mir kaputtgegangen in dieser Zeit, Mitte Februar, und wie soll ich beweisen, daß es nicht so war?
Es kommt jetzt noch manchmal vor, und in jenem Winter, als ich in Kungsängen herumwanderte, mit dem Finger über die Briefkästen strich und im Rauhreif Spuren hinterließ, kam es sehr oft vor, daß ich tatsächlich mit diesem Gedanken spielte:
Angenommen, ich wäre wirklich übergeschnappt damals, als diese Konferenz in Varberg war – ja, wenn ich übergeschnappt sein sollte, dann muß es in Varberg passiert sein. Und wenn es so ist, dann bin ich immer noch verrückt. Dann haben die Zeitungen recht, der Justiz-Ombudsmann hat recht, die Glossenschreiber der Gewerkschaftspresse haben recht, der Betriebsarzt hat recht, die Regierung hat recht, ja, alle miteinander haben sie recht.
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