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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Garderoben, ihren pensionierten Militärchirurgen, ihren kleinen, scharfzüngigen Offiziersgattinnen in den oberen Etagen, und installierte mich und meine Familie in einer bequemen kleinen Dreizimmerwohnung am Scholtzplatz.
    Ich mag Randbezirke. Ich habe sie schon immer gemocht. Durch das Fenster zum Scholtzplatz sah ich eine Bushaltestelle und zwei seltsam geformte Kiefern.
    Sie erinnerten mich an Väster Våla, besonders dann, wenn große Regenwolken hinter ihnen vorüberzogen.
    Meine nächste Nachbarschaft bestand aus einem sehr lehmigen Übungsplatz für britische Panzer (es war immer wieder ein Erlebnis für mich, wenn sie mit ohrenbetäubendem Lärm morgens um sieben die Heerstraße entlangdonnerten, mitten in einem Feuilletonartikel), einem Supermarkt mit Phantasiepreisen und einem britischen Soldatenfriedhof aus dem Zweiten Weltkrieg:
    »A British Navigator. Died on the 16 th of December 1943 . Known unto God.«
    und linkerhand ein grüner, kompakter Buchenwald, der fast zwei Stunden weit reichte.
    Ich unternahm verschiedene kleine Ausbruchsversuche.
    Ich machte eine Reise nach Stockholm, um in einer Fernsehsendung aufzutreten, aber es endete nur damit, daß ich bei einem Kneipenbesuch, während ich mit Jan Myrdal und Jan Stolpe über romanische Steinskulpturen diskutierte, vierzig Grad Fieber bekam.
    Ich machte eine Reise nach Wien, saß im Café Landtmann am Ring und diskutierte mit Dr. Reinhard Urbach über die byzantinische Kultur, und mitten im Café Landtmann bekam ich vierzig Grad Fieber und fuhr wieder heim.
    Wohin ich auch reiste, stets bekam ich vierzig Grad Fieber.
    Immer wenn ich es geschafft hatte, mich wieder nach Hause zum Scholtzplatz zu schleppen, wurde ich gesund, sobald ich in die Küche hinausging und eine Tasse Kaffee trank.
    Ich zog daraus den Schluß, daß ich am Scholtzplatz daheim sei.
    Es war schon ein lustiger Ort für ein Zuhause. Ich stand gewöhnlich um sieben Uhr auf, sorgte dafür, daß die Kinder ihr Frühstück bekamen und brachte sie zum Bus, der sie durch die gewaltigen Schleifen und Biegungen der Stadtautobahn in einer guten halben Stunde in die Stadt fuhr, und dann an den Schreibtisch bis etwa drei Uhr nachmittags, nur mit Pausen für kleine Tassen eines konzentrierten Kaffees, wie nur ich ihn zubereiten kann.
    Eigentlich verlange ich nichts anderes vom Leben, als in Frieden schreiben zu können.
    Manchmal fuhr ich in die Stadt, ging in Buchhandlungen und traf Leute.
    Den Nachmittag pflegte ich meist mit einem langen Spaziergang durch den Grunewald zu verbringen, durch den frühlingsgrünen Wald bis zum Hundekehlensee. Der kleine, grüne, algenstrotzende Hundekehlensee mit seinen Enten, seinen umhertreibenden Tetrapak-Tüten, seinen grünen Stränden, seinen falschen, vor der Jahrhundertwende von Industriemagnaten erbauten Renaissanceschlössern.
    Am Hundekehlensee habe ich Freunde.
    Auf dem Weg dorthin kommt man an zwei Hügeln vorbei oder vielmehr zwischen zwei Hügeln durch, die mitten in der verworrenen Vorstadtlandschaft liegen wie bizarre Frauenbrüste. Der eine ist sonderbarer als der andere.
    Der rechte ist ein natürlicher Hügel, mit Gras, Bäumen und Büschen bedeckt, der auf seiner Kuppe eine Art Gralsburg trägt – eine amerikanische Radarstation. Die Gralsburg hat riesige weiße Kuppeln, und bewacht wird sie von bis an die Zähne bewaffneten amerikanischen Soldaten mit großen Bestien von Wachhunden.
    Wenn man doch bloß sicher sein könnte, daß es nur eine Radarstation ist und nichts Schlimmeres! Vermutlich überwacht sie den gesamten osteuropäischen Luftraum von hier bis Novgorod, aber kann man denn sicher sein, daß sie nicht auch unsere Gespräche abhört, unsere Gedanken liest, irgendeine entsetzliche Katastrophe vorbereitet?
    Vielleicht ist es eine geheime Forschungsstation, die sich mit bisher unbekannten magischen Waffen beschäftigt? Vielleicht macht sie etwas mit unserer Sprache, mit unseren Träumen?
    Der linke Hügel ist ganz kahl bis auf das smaragdgrüne Gras, das ihn zu dieser Jahreszeit bedeckt.
    Man überlegt ein wenig, wo man ihn schon einmal gesehen hat, und plötzlich kommt man drauf.
    In Westasien, in Kleinasien gibt es solche Hügel.
    Sie enthalten die verwüsteten Städte.
    Die Fundstellen der Archäologen.
    Man dringt durch die einzelnen Schichten vor. Zuerst Ziegel, dann Stein, dann wieder Ziegel, und schließlich die Überreste primitiver Pfahlbauten, wo die Toten auf dem Müllhaufen begraben wurden und wo verbrannte Knochen in

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