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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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von dem man im Echo des Tages sprach.
    Eine solche wirklich hochgestellte Persönlichkeit mußte ein Auge auf Tante Clara geworfen haben.
    Das Ganze war, wie ich schon sagte, sehr geheimnisvoll, sehr mystisch, und man sprach nur im Flüsterton davon.
    Vielleicht war es der Vorsitzende des Reichsbankdirektoriums? Oder der Präsident des Revisions-Prüfungsgerichts? Ich weiß, daß ich es gewußt habe, aber ich kann mich um alles in der Welt nicht daran erinnern.
    Ich weiß nur noch, daß es jemand war, der jederzeit zum Mitglied der neuen Regierung berufen werden konnte, die jetzt zu erwarten war, nachdem die Koalitionsregierung das ihre getan hatte; eine sehr hochgestellte Persönlichkeit.
    Tante Clara war also auf dem besten Weg, Ministergattin zu werden.
    Es fehlten nur noch ein paar kleine Formalitäten, z.B., daß diese wirklich hochgestellte Persönlichkeit sich endlich zur Scheidung entschloß, und das war offenbar gar nicht so einfach. Es ist nicht so einfach, sich in den höchsten Kreisen scheiden zu lassen; man muß den richtigen Augenblick abwarten, damit man sich nicht die Karriere verbaut.
    Sich scheiden zu lassen, wenn es gerade um eine Regierungsbildung geht, und man selbst als Nachfolger von Finanzminister Wigforss oder Sozialminister Möller vorgesehen ist, das ist natürlich nicht gut möglich. Das muß schließlich jedem einleuchten.
    Bestimmt war das der Grund für Tante Claras Traurigkeit.
    In der Gegend von Ramnäs gab es damals einen sehr sonderbaren alten Lumpensammler, weiß der Himmel, wie er wirklich hieß, denn ich glaube, es war zuerst im Scherz, daß alle ihn Gottwold nannten.
    Ich hatte damals den Eindruck, daß Gottwold sehr alt sein müsse, ungefähr um die Siebzig, aber möglicherweise war er ein wenig jünger.
    Er war ein ziemlich kräftiger Mann und völlig blind. Vor seinen blinden Augen trug er eine uralte, blaugrüne Brille mit Stahlfassung, und vom Kinn hing ihm ein unbeschreiblich langer, grauschwarzer Bart herab, klebrig von schlecht verwerteten Eiresten und aus dem Mundwinkel triefendem Kautabak und Gott weiß was alles. Ich glaube, daß er bei einer Sprengung erblindet war – er hatte irgendwann in seiner Jugend im Hüttenwerk von Ramnäs gearbeitet.
    Jetzt zog er auf den Landstraßen umher, blind und tastend, und ständig lief ein mit Kautabak vermischter Speichelfaden aus seinem Bart. Hinter sich her zog Gottwold stets eine Karre, die aussah wie ein kleiner Heuwagen, beladen mit seinen Sachen, Schrott, den er sammelte und wieder verkaufte, leeren alten Flaschen, Fahrradspeichen, weggeworfenen Thermosflaschen, seinem unbeschreiblich durchlöcherten und zerrissenen Regenmantel, einem Regenschirm, einem riesigen, in Gummituch gehüllten Paket, in das niemand je einen Blick werfen durfte.
    Gottwold war gut zu Kindern. Wenn er den Weg entlangkam, auf eine eigentümliche Art schwankend und vor sich hin summend und brummend, und hinter ihm der Wagen im Kies knirschte, während er mit seinem weißen Stock nach dem Grasbuckel in der Mitte des Weges tastete (er mied die großen Landstraßen), kamen die Kinder in Scharen angelaufen. Aber niemand kam auf die Idee, ihn zu ärgern.
    Wir pflegten in seinem Wagen zu sitzen und mit all den sonderbaren Sachen herumzuspielen, die es dort gab, mit allem außer dem geheimnisvollen Paket im Gummituch, wir durften ihn am Bart zupfen und an den langen strähnigen weißen Haaren und die alte Zinnuhr mit den eigentümlichen Figuren angucken – statt der Zahlen war eine Reihe von Tieren auf dem Zifferblatt: ein Krebs, ein Stier, ein komischer Mann, der Wasser trug, ein Ochse mit gebogenen Hörnern – die er unter dem alten braunen Wollpullover mit den weißen Stopfstellen hervorzog.
    Und dann die Puppen. Zu den Waren, die er in den Höfen verkaufte, gehörten lustige kleine Stoffpuppen, richtige kleine Puppenfräuleins, die er aus Sackleinwand, alten wollenen Strümpfen und Lumpen zu sonderbar naturgetreuen kleinen Frauengestalten zusammennähte.
    Sie pflegten immer ganz hinten in dem kleinen Leiterwagen zu sitzen und ihre Arme rührend über den Rand baumeln zu lassen, wenn er ihn über den Schotter zog.
    Er verkaufte sie an die Kinder in den Höfen, wo er hin und wieder einen Schluck Kaffee in der Küche bekam, wenn die Leute sich nicht allzusehr vor seinem Geruch ekelten, der ihn wie die Aura eines Heiligen umgab.
    Die Nase war groß, mit einer starken Krümmung in der Mitte, fast einem Buckel, die Oberlippe dagegen überraschend

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