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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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dann wieder neu aufgebaut. Zur Zeit ist er in Gebrauch, im Sommer fahren Touristenboote durch die mächtigen, hohen, kupfergrünen Schleusentore, die in riesigen, in schweren schwarzen Stein eingelassenen Eisenkrampen hängen.
    In meiner Kindheit zum Beispiel wurde die Schleuse nicht benutzt, die Tore waren zu morsch, zwischen dem Ende der vierziger und dem Anfang der sechziger Jahre kam kaum ein Boot durch.
    Ich pflegte manchmal auf dem Landweg zur Schleuse vorzudringen, durch das kompakte Grün, durch das Reisig mit all den Kreuzottern, durch das hohe Gras, unter den großen Bäumen entlang, bis zu der Stelle, wo der Fluß sich teilt, in einen kanalisierten und einen unkanalisierten Arm (mit riesigen schwarzen Steinen, um die das Wasser herumstrudelt), mich dort auf einen großen, abgeschliffenen Steinpoller zu setzen, das Wasser ringsum zu hören, und zu sehen, wie es schwarze Strudel bildet und wie ein humusduftender Schaum sich wie eine Art Schlagsahne auf die oberste Treppenstufe legt, ich meine die Treppe, die zur Schleuse hinunterführt: Der Weg, den die Schiffer früher einmal gingen.
    Da pflegte ich zu sitzen, stundenlang, mit oder ohne Angel, und in die schwarzen Strudel hinunterzustarren, mit schwarzen, vierzehnjährigen Augen, und mich zu fragen, was zum Teufel man eigentlich von mir erwarte, das ich in dieser Welt noch tun oder ausrichten solle.
     
    UND DAS IST DAS EINZIG LIBERALE AN MIR
     
    O.K. Leute. Immer mit der Ruhe. Er kommt jetzt raus.

Die Malerin G.
macht einen Fortschritt
     
    – Es ist wirklich unglaublich, sagte sich die Malerin G., während sie sich über den klobigen, rustikalen Schreibtisch aus dunkler Eiche beugte, der in dem ländlichen Gasthaus, wo sie gerade wohnte, den Platz vor ihrem Fenster zierte, es ist wirklich unglaublich, daß diese sonderbare Zivilisation es fertiggebracht hat, sich so weit zu entwickeln und so originelle Lösungen für alle möglichen Probleme zu finden, ohne je auf etwas so Einfaches zu kommen wie zum Beispiel, daß Schreibpapier nicht unbedingt aussehen muß wie eine verfilzte alte Decke. Ich verstehe einfach nicht, wie sie das schaffen!
    Sie hatte allen Grund, unzufrieden zu sein. Das gräuliche, sehr rauhe Schreibpapier, das vor ihr lag, war wirklich so filzig, daß es fast nicht zu ertragen war. Sie verfluchte den unglücklichen Zufall, der schuld daran war, daß sie nicht wenigstens einen Kugelschreiber mitgenommen hatte, als sie in jener Nacht ihre Wohnung in Moabit verließ...
    ... wie lange war sie überhaupt fortgewesen? Drei Tage, vierzehn Tage, zehn Jahre, es war ganz unmöglich, das zu beurteilen, da sie sich in einer anderen Zeit befand, die nicht den normalen Gesetzen gehorchte.
    Nun mußte sie notgedrungen einen abscheulichen Federhalter mit einer Stahlfeder benutzen, wie sie ihn seit der Volksschule nicht mehr angerührt hatte, und bei jeder neuen Faser in dem filzigen Papier spritzte die widerliche Tinte in einem weiten, eleganten Bogen über das Blatt.
    Es ist wirklich nicht leicht, unter solchen Bedingungen ein Reisetagebuch zu führen.
    Dabei hätte sie so vieles beschreiben wollen: Die sonderbaren, altertümlichen Dörfer mit ihren engen Straßen und hohen Treppengiebeln, die düsteren Kneipen mit ihren schweigsamen, dicken Kellnern, den eigentümlichen Geruch von einem unglaublich starken Bohnerwachs, den sie in dieser Art nicht kannte und der durch alle Gebäude zu dringen schien und übrigens auch hier in diesem Raum war.
    Würde man sich je daran gewöhnen können, wenn man wirklich hier wohnen müßte?
    Sonst schien alles nicht ganz so schlimm zu sein, wie sie es sich vorgestellt hatte. Die Landschaft war lieblich, wenn auch etwas monoton in all ihrer Lieblichkeit, offenbar voller Seen, ganz normalen Seen also, sie hatte vor ein paar Tagen sogar ein paar Herren in hohen Gummistiefeln an einer Bachmündung Forellen mit der Trockenfliege angeln sehen, ganz normale Forellen, wie es schien. Der Laubwald, offenbar vor allem Eichen und Ahornbäume, bestand offensichtlich aus einem kompakteren Grün als daheim in Berlin, aber es war ja auch ganz klar, daß sie sich in viel südlicheren Breitengraden befand. An manchen Tagen, besonders wenn der Wind von Süden kam, konnte es wirklich sehr heiß werden. Vielleicht lag weiter südlich ein Wüstengebiet?
    Es kam ihr immer wieder in den Sinn, daß sie nicht einmal ahnte, wieviel sie tatsächlich schon von diesem Land gesehen hatte, oder wie repräsentativ die Gegend war, die sie ein paar

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