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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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einen tiefen und traumlosen Schlaf.
     
    Als sie aufwachte, bemerkte sie zu ihrem Erstaunen, daß sie nicht mehr allein im Zimmer war. Belo saß auf dem Schreibtischstuhl, in einem eleganten hellen Sommeranzug, die Beine lässig übereinandergeschlagen, blätterte in ihren Aufzeichnungen und kicherte hin und wieder zufrieden vor sich hin. Er rauchte eine Zigarette in einer langen Bernsteinspitze, und das ärgerte sie ein bißchen.
    Warmes Sonnenlicht schien seit mehreren Stunden durch die Gardinen und warf einen breiten Lichtstrahl quer über den Fußboden.
    – Guten Morgen, sagte Belo.
    – Guten Morgen, sagte die Malerin G. Könnten Sie nicht freundlicherweise diese scheußliche Zigarette ausmachen? Ich kann den Rauch im Schlafzimmer nicht gut vertragen, besonders wenn ich noch nicht richtig aufgestanden bin.
    – Entschuldigung, sagte Belo. Daran hätte ich denken müssen.
    – Ich kann mich nicht erinnern, daß ich Ihnen die Erlaubnis gegeben hätte, meine Aufzeichnungen zu lesen, aber da Sie nun schon dabei sind, muß ich gleich sagen, daß es noch etwas gibt, das ich gestern aufzuschreiben vergessen habe, das aber eigentlich auch dort stehen müßte.
    – Aha, sagte Belo auffordernd.
    – Ja, und zwar, daß man in der Hölle nie einen Radfahrer sieht, sagte die Malerin G. trocken.
    – Da haben Sie völlig recht, sagte Belo. Nein, hier sieht man nie einen Radfahrer.

Die äußerste Vertragsklausel
     
    – Nun? sagte Belo und wippte mit der rechten Fußspitze, die er meditativ betrachtete, auf und ab.
    – Was, »nun«?, fragte die Malerin G. in einem etwas gereizten Tonfall, den man fast für mütterlich hätte halten können, wenn etwas so Sonderbares möglich gewesen wäre.
    – Ich meine: Wie gefällt es dir?
    – Es ist eine sehr schöne Landschaft, die Bevölkerung ist wortkarg, aber sonst in Ordnung. Abgesehen von einigen Kleinigkeiten, wie dem Briefpapier, ist der industrielle Standard höher als ich dachte.
    – Du darfst nicht vergessen, daß wir seit Milliarden von Jahren Krieg hatten, warf Belo pflichtschuldigst ein. Die Wiederaufbauarbeit...
    – Die hat die andere Seite doch auch gehabt, verflixt noch mal, fuhr die Malerin G. ihn an. Sie hatte wirklich einen ungewöhnlich gereizten Tag.
    – Du hast keine Ahnung, welch ungeheure Arbeit hier investiert worden ist. Du hättest sehen sollen, wie es nach den letzten Kämpfen mit dem Himmel aussah. Die Steigerung unseres Lebensstandards entspricht zur Zeit den Zuwachsraten der USA hoch drei.
    – I believe you, Sir, sagte die Malerin G. Aber darum geht es gar nicht.
    – Du bist also enttäuscht.
    – Ja.
    – Aber wovon denn?
    – Hier ist alles so furchtbar statisch. Hier passiert in Wirklichkeit überhaupt nichts. Es gibt hier nicht einmal ein einziges Kind.
    – Und keine Revolution, keine Pest, keine Verkehrsunfälle, keine Fabrikstillegung, keine Inflation, sagte Belo. Was meinst du wohl, wovon die Utopisten aller Zeiten geträumt haben, wenn nicht genau davon?
    Er holte mit der Hand zu einer großartigen Geste aus und warf fast die Petroleumlampe um, die gefährlich nahe neben ihm auf dem Schreibtisch stand. Nicht nur fast, sie fiel tatsächlich von der Schreibtischkante, und die Malerin G. stellte fest, daß er eine lustige Art hatte, sie aufzufangen. Er gab ihr einfach einen leichten Stoß mit der Fußspitze, ungefähr wie ein geschickter Mittelstürmer es mit dem Ball macht, und da schnellte die Lampe doch tatsächlich elegant hoch und stellte sich brav wieder an ihren Platz auf dem Tisch.
    Ganz offensichtlich wäre Belo als Linksaußen bei Hertha oder Arsenal mehrere Millionen Lire wert gewesen.
    – Wie gesagt, wonach haben die Utopisten aller Zeiten geschrien, angefangen mit Plato bis zu diesem außerordentlich dicken Herrn aus Trier, wie hieß er noch, Max oder Maks oder Mach? Sie wollten doch eine Gesellschaft, in der sich nichts mehr verändert, weil alles schon fertig ist. Entspricht das nicht dem, was wir hier haben? Hast du hier vielleicht schon jemand mit einer Münze bezahlen oder einen Scheck ausschreiben sehen?
    – Nein, tatsächlich, das habe ich nicht.
    – Ganz recht. Wir sind eine Gesellschaft ohne Geld. Das haben wir vor viertausend Jahren eingeführt, als wir entdeckten, daß alle Konten am Ende des Jahres mit genau demselben Betrag abschlossen, mit dem sie am Jahresanfang begonnen hatten, und daß es eine völlig überflüssige Arbeit war, sich jedes Jahr hinzusetzen und alle Transaktionen durchzurechnen.
    – Eine

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