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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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gegenüber der Philosophie. »Bildung« bestand darin, französische Wörter korrekt aussprechen zu können. Dagegen galt es als »halbgebildet«, sich für Marx, Kierkegaard oder Freud zu interessieren. Das war volksschullehrerhaft.
    Bei ihr war noch etwas davon vorhanden, als eine Art vorsichtiger Widerwille gegen alles, was den geringsten Anschein von »Grübelei« hatte.
    Ich erinnere mich, daß ich mich einmal tatsächlich so sehr mit ihr zerstritten habe, daß ich mehrere Tage lang nicht mehr mit ihr reden mochte. Es war während einer Zugfahrt nach Kopenhagen. (Wir machten in den Ferien manchmal solche Reisen.)
    Es fing damit an, daß ich einen Gedanken skizzierte, der mir bei meiner Lektüre gekommen war.
    – Wenn es nun so wäre, sagte ich, daß das Wort »ich« eigentlich ein völlig sinnloses Wort ist. Das Wort »ich« wird ja im alltäglichen Sprachgebrauch auf genau die gleiche Art verwendet wie die Wörter »hier« und »jetzt«. Alle Menschen haben das Recht, sich »ich« zu nennen, und zugleich hat nur ein einziger Mensch das Recht dazu, nämlich derjenige, der in diesem Moment redet.
    Niemand würde behaupten, daß »hier« oder »dort« etwas Besonderes bedeutet, daß es bedeutet, hinter diesen Begriffen verberge sich irgend etwas. Warum sollten wir uns dann einbilden, wir hätten ein Ich?
    Es denkt in uns. Es fühlt. Es redet. Das ist alles. Oder: Es denkt hier , sagte ich und drückte den Zeigefinger gegen die Stirn.
    – Wenn du dich auf solche Grübeleien einläßt, wirst du noch verrückt, sagte sie.
    (Das gelbe Buch II:8)

 
     
     
    Was für ein wunderschöner Morgen. Tief im Schlaf, übrigens träumte ich, ein gutmütiger, jedoch im Grunde ungeheuer gefährlicher Elefant jage mich über ein endloses Feld – aber keine Schmerzen heute nacht – tief im Schlaf spürte ich, daß der große, blaue Hochdruck gekommen war. Er lag wie eine riesige Blase über der ganzen Gegend, als ich um sieben Uhr morgens aufstand, und bisher ist noch keine einzige Wolke aufgetaucht, obwohl jetzt schon Nachmittag ist.
    Das ist im März sehr ungewöhnlich.
    Heute morgen habe ich schon alle Bienenstöcke durchgesehen und Zuckerlösung nachgefüllt, tatsächlich ist nur ein einziges Volk erfroren, jedoch ist es eins, das schon vorher nicht besonders viel Haltung bewiesen hat, hätte ich fast gesagt. Ich habe nie recht begriffen, was sie trieben. Sie bauten nur etwa jede zweite Wabe aus, und zwar auf eine zögernde, fast kokette Art, als wollten sie sagen, sie durchschauten zwar diese Kunstwachswaben, aber sie könnten trotzdem ein bißchen bauen, nur um zu zeigen, daß sie immerhin die Geometrie beherrschten.
    Kokette Biester! Ich bin froh, daß sie erfroren sind. Im Sommer hätte sie sicher das Schwarmfieber überkommen, und dann hätten sie sich ohnehin selbst vernichtet. Die Idee der permanenten Revolution sozusagen.
    Marengo, Austerlitz, Leipzig... Ich kenne wenige Dinge, die in einem solchen Maß dem Cäsarenwahn Vorschub leisten wie die Bienenzucht. Man kann alle Erlebnisse eines Napoleon haben, ohne grausam zu Pferden zu sein und ohne einen einzigen Menschen sterben zu sehen.
    Dafür sieht man eine ganze Menge Bienen sterben.
    Das hätte alles beliebig lange so weitergehen können: Es war gut, es herrschte eine Harmonie in der ganzen Sache, eine Harmonie um den Preis von etwas, aber immerhin eine Harmonie, ja, es hätte so weitergehen können.
    Wenn nicht gegen Ende der sechziger Jahre etwas zu geschehen begonnen hätte. Es kam so unerwartet, daß ich fast Jahre brauchte, um zu erkennen, was passiert war. Mir stieß ganz einfach ein radikal neues, ganz unerwartetes Ereignis zu: die Liebe.
    Es nahm natürlich einen katastrophalen Verlauf, das hatte ich von Anfang an gewußt, aber mich konnte eigentlich keine Katastrophe schrecken. Wenn ich darauf zurückblicke, wie ich gehandelt habe, sieht es tatsächlich so aus, als hätte ich die ganze Zeit eine Katastrophe gewollt . Es läßt sich kaum anders deuten.
     
    Es ist eine unglaublich komische Geschichte, denn sie enthält so enorm viele unwahrscheinliche und sonderbare Zufälle.
    Ich nahm ja manchmal an diesen Hauptversammlungen der Feldbiologen in Stockholm teil. Und da ich einige Jahre lang stellvertretender Vorsitzender war, bekam ich die Reise bezahlt. Ich pflegte also im Hotel Malmen zu übernachten und abends in ein Konzert oder in die Oper zu gehen. Das war ein kleines, heimliches Vergnügen, und da war nichts weiter dabei.
    Einmal jedoch, als wir im

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