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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen. In der letzten Wohnung, die wir zusammen hatten, reichte er fast bis an die Decke. Sie stellte ihre Textilfarben selber her, aus alten Pflanzenfarben.
    In Uppsala hatte ich ja ein ziemlich wildes Leben geführt, mit Mädchen und Kneipen und Schulden. Dieser neuorganische Lebensstil auf dem Lande war eine Art, endgültig damit Schluß zu machen.
    Bestimmt spielte da auch ein romantischer oder vielleicht anarchistischer Hang eine Rolle. Wir hatten beide einen Widerwillen gegen Behörden, gegen den Zentralismus dieses Landes, gegen die massenhaften Umsiedlungen von Menschen aus ihrer natürlichen Umgebung in unpersönliche, kasernenartige Vororte der Großstädte. Wir hatten einen Widerwillen gegen die Schulbehörden, die es sich nicht einmal leisten konnten, die vorhandenen Mittel zu verwenden, um die Schulhöfe ein wenig angenehmer und fröhlicher zu machen, sondern sie statt dessen für protzige kommunale Skulpturen ausgaben. Ganze Frühstücke hindurch jammerten wir über die Zusammenlegung von Gemeinden, über die Schließung von Schulen in dünnbesiedelten Gebieten, über Kahlschläge, die fast überdeutlich zeigten, daß die ganze Gegend wie ein Rohstofflager behandelt wurde, wie eine Art Speisekammer, aus der man sich bediente, und sonst nichts.
    Ich meine: Das waren Realitäten, das waren Dinge, die uns auf einer ganz praktischen, handgreiflichen Ebene etwas bedeuteten, vielleicht war auch ein Zug von Snobismus darin, ein Gefühl, überlegen zu sein, besser zu erkennen, welche Bedeutung die Geschehnisse hatten.
    Aber es war auch noch etwas anderes: Es gab uns eine Art inneren Zusammenhalt. Wenn man alles besser weiß als die anderen, fällt es einem leicht zusammenzuhalten.
     
    Und wir hielten zusammen: auf eine unsentimentale, nicht besonders sinnliche, aber angenehme und gute Art. Wir empfanden uns als zwei Einzelgänger, die einander gefunden hatten und denen das Einzelgängertum selbst etwas Gemeinsames gab; wir waren also keine Einzelgänger mehr, weil wir einander hatten.
    Daß Margareth und ich zusammenhielten, war eine Art zu sagen:
    Wir fangen noch einmal an. Wir geben nicht auf.
     
    Sie war die jüngste Tochter einer unglaublich tyrannischen Oberarztfamilie aus Falun. Alle ihre Brüder waren Reserveoffiziere, schwedische Meister im militärischen Fünfkampf, Justitiare, weiß der Teufel was noch alles. Ich habe sie nicht besonders oft getroffen, hatte aber den Eindruck, daß sie mich mit unverhohlener Verachtung betrachteten. Einer von ihnen fragte mich sogar einmal, ob man wirklich davon leben könne, Volksschullehrer zu sein – damals hieß es ja noch Volksschullehrer. Wir waren einander gegenseitig genauso unbegreiflich.
    Der Vater – er ist übrigens, glaube ich, noch am Leben – war ein abscheuliches Monstrum, gefürchtet von seiner Familie, von Krankenschwestem, Unterärzten und Assistenten, im ganzen Land bekannt für seine medizinischen Äußerungen, die vor allem besagten, daß Mädchen im Winter Wollstrümpfe tragen sollten, daß Abtreibungen die militärische Schlagkraft des Landes verringerten und daß die Bevölkerung in Geschlechtskrankheiten und Jugendalkoholismus zu versinken drohe.
    Die jüngste Tochter war in diesem Haushalt irgendwie ins Abseits geraten. Ich habe den Eindruck, daß sie den größten Teil ihrer Jugend damit verbrachte, sich in der Küche nützlich zu machen. In Todesangst vor dem Vater, von den Brüdern unterdrückt, blaß, dünn und sommersprossig, hatte sie einen Weg zu den Büchern gefunden, zu einer Welt außerhalb dieser Zwölf-Zimmer-Villa am Rand von Falun. Ich glaube, er führte über die moderne Lyrik, die sie neugierig zu lesen begann, weil irgendwann am Mittagstisch darüber gelästert wurde, und quer durch die höhnisch verlesenen Zitate von Ekelöf und Lindegren entdeckte sie, daß das irgendwie von ihr handelte.
    »Ich suche ein Gold, das alles Gold wertlos macht.«
    Ich glaube, sie wurde sehr spät zur Frau. Sie sollte gerade in einen Haushaltskurs geschickt werden, als sie zum ersten Mal in ihrem Leben richtig wütend wurde, aufbegehrte, sich ein Zimmer in Uppsala besorgte und sich an der Universität einschrieb.
    Es war eine so unbeschreiblich schwedische Großbürgerfamilie. Noch zehn Jahre danach konnte ich Spuren davon in ihrer Sprache hören.
    Dieser ganze enorme, verächtliche Widerwille gegen alles, was nach persönlicher intellektueller Arbeit aussah, diese feindselige Einstellung

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