Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
über fort gewesen war und wir uns erst abends wiedersahen, trat immer ein kritischer Moment ein. Das geschah stets irgendwann nach dem Abendessen, wenn der erste Bericht von den Ereignissen des Tages beendet war, kurz nach dem Kaffee, kurz vor den Fernsehnachrichten, es entstand eine Art Ebbe, das Wasser zog sich zurück, die Steine wurden sichtbar.
(Das blaue Buch II:2)
Sie war ziemlich klein, bewegte sich immer leicht, fast tänzelnd und sprach mit einer angenehm leisen Stimme. Sie hatte eine schöne, eine sehr anregende Neugier auf die Menschen, auf die Welt, sie las viele Bücher, es machte Spaß, sich mit ihr zu unterhalten. Sie interessierte sich ernsthaft für fast alles, was ihr über den Weg kam, außer vielleicht für mich.
Dieser letzte Frühling in Uppsala war schon in den Frühsommer übergegangen. Es waren nicht mehr viele Leute in der Stadt, ich war dageblieben, weil ich einen Job als Schwedischlehrer für ausländische Studenten bekommen hatte, und war ins Zentrum umgezogen, in ein Zimmer im Bäverns Gränd, das mir ein Freund überlassen hatte, der den Sommer über verreist war.
Sie kam mit irgendeiner Freundin an und setzte sich auf die Terrasse dieses kleinen Cafés gleich neben dem Dom, das gewöhnlich ein paar Tische herausstellt, wie hieß es noch, Domtreppenkeller glaube ich. Ich erinnere mich noch an die Schlagzeilen auf den Zeitungsplakaten an dem kleinen Tabakladen gegenüber, es ging um eine neue, komplizierte Phase im Streit um die Rentenreform, der damals, Ende der fünfziger Jahre, gerade am heftigsten tobte. Ich erinnere mich so genau daran, weil ich sie immerzu betrachtete, während wir miteinander redeten.
Ihre Freundin war ein dünnes, spitzes kleines Mädchen, sehr schmales Gesicht, Brille.
Eine Kopie von Margareth, könnte man sagen. Sie redete nicht viel, aber ich erinnere mich, daß ich immerzu dabei war, die beiden im stillen zu vergleichen, als sei dieser Vergleich irgendwie wichtig. Und ohne genau zu wissen, was ich eigentlich damit bezweckte.
Alles schien von vornherein klar zu sein, als sei es schon seit Jahren so abgesprochen. Wir saßen da und unterhielten uns, übrigens über diese Gegend hier, saßen da und erkannten uns einer im anderen. Es gab keinen Ort, keinen See, keine Hüttenwerksruine, keine stillgelegte alte Eisenbahnlinie in dieser Gegend, die sie nicht kannte. Sie hatte ihre Sommerferien im nördlichen Västmanland verbracht, seit sie ein kleines Mädchen war.
Ich saß im Licht des Sommerabends da, und die ganze Landschaft wurde mir durch sie gegenwärtig.
Ich glaube, so fing es an.
Sie ist immer das gewesen, was man ein recht hübsches Mädchen nennt, an ihrem Aussehen war nichts auszusetzen. (Ihre Augen sind mit den Jahren immer interessanter geworden.)
Deshalb ist es mir völlig unverständlich, warum ich mich immer ein bißchen genierte und mich bloßgestellt fühlte, wenn ich mit ihr auf der Straße unterwegs war und einen Bekannten traf. War es einfach die Tatsache, daß wir unsere Zusammengehörigkeit zeigten, die mich peinlich berührte?
(Das gelbe Buch II:2)
Es war ein recht ruhiges Leben. Jahrelang war es wirklich ruhig, nicht mehr oder weniger, und sehr idyllisch. Wir wohnten hier und da in Västmanland, waren an verschiedenen Schulen als Lehrer angestellt, richteten das Innere alter Dienstwohnungen her, bis sie richtig gemütlich wurden, mit Margareths handgewebten Teppichen und meinen Schränken und dem ganzen Zeug, das ich zum größten Teil selbst in verschiedenen Werkräumen angefertigt hatte.
Vielleicht zogen wir ein bißchen zu oft um, und immer blieben wir auf dem Land draußen – das war schon so etwas wie ein Lebensstil; wir hatten ja beide irgendeine (recht vage) Protesthaltung gegen die Gesellschaft, die uns umgab. Ein Protest von Gemüseanbauern, sozusagen. Ein Protest gegen die Industriegesellschaft, gegen...
Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern. Es ist merkwürdig, aber jetzt vergrößert sich der Abstand zu dieser Zeit mit jedem Tag: Ganz andere Dinge treten in den Vordergrund, das Lied einer Amsel vor dem Fenster, kurz nachdem ich aufgewacht bin, und etwas weiter weg die Krähen in den Bäumen, ein Wassertropfen an einem Zweig mitten am Tag, wenn das Tauwetter begonnen hat. All das erscheint jetzt in einem anderen Licht, und alles, was hinter mir liegt, empfinde ich als bedeutungslos.
Sie webte immerzu; wenn wir umzogen, war es immer das größte Problem, diesen Webstuhl
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