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Ritter des dunklen Rufes

Ritter des dunklen Rufes

Titel: Ritter des dunklen Rufes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gemmell
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nahm die bronzene Augenklappe ab, die er mit einem weichen Tuch polierte, bis sie glänzte. Er setzte sie wieder auf, schenkte sich einen Becher Apfelsaft ein und sah dann zu, wie der Morgen heraufdämmerte und die Schatten der Bäume vor seinem Fenster zurückwichen.
    Hier war er glücklicher gewesen als in der Zitadelle, denn in der alten Festung erinnerte ihn zu vieles an seinen Vater. Calibal war dem Sohn, den er nicht gewollt hatte, ein strenger Vater gewesen, und der Junge – hässlich und ungeschickt – konnte ihm nichts recht machen. Jeden Tag seiner Kindheit hatte er in dem Bemühen zugebracht, die Liebe seines Vaters zu gewinnen. Schließlich hatte er Erfolg mit den Farben und erwies sich als größerer Magier als Calibal selbst. Daraufhin war die Gleichgültigkeit seines Vaters in Hass umgeschlagen, und er hatte den Jungen von sich gestoßen. Selbst als er im Sterben lag, ließ er nicht zu, dass sein Sohn an seinem Totenbett saß.
    Armer Calibal, dachte Ruad. Armer, einsamer Calibal.
    Er erhob sich und verscheuchte die Erinnerungen aus seinen Gedanken. Drei Stunden lang arbeitete er, dann wanderte er hinaus auf die Wiese hinter dem Wald, ließ sich dort nieder und genoss die Herbstsonne. Bald schon würden sich die dunklen Wolken zusammenballen, der Nordwind heulen und Schneestürme die Berge mit Eis und Schnee bedecken. Schon färbten sich die Blätter golden, die Blumen welkten.
    Sein Blick fiel auf eine noch ferne Gestalt, die langsamen Schrittes den Hügel heraufkam. Ruad wartete, während Gwydion sich näherte.
    »Faul in der Sonne liegen?« fragte der Neuankömmling. Sein faltiges Gesicht war rot von der Anstrengung des Kletterns und das schulterlange weiße Haar glänzte vor Schweiß.
    »Du solltest dir ein Pferd kaufen«, antwortete Ruad und stand auf. »Du bist zu alt für Bergwanderungen.«
    Der alte Mann lächelte, holte tief Luft und stützte sich auf seinen Stab. »Ich habe nicht die Kraft zum Streiten«, gestand er, »aber ein Glas von deinem Apfelsaft wird mich erfrischen.«
    Ruad führte ihn ins Haus und schenkte ein, während Gwydion sich am Tisch niederließ.
    »Wie behandelt dich das Leben?« fragte der alte Mann.
    »Ich beklage mich nicht«, antwortete Ruad. »Und du?«
    »Es gibt immer Arbeit für einen Heiler – selbst für einen mit schwindenden Kräften.«
    Ruad schnitt einige Scheiben dunkles Brot ab sowie einen Kanten Käse und reichte Gwydion beides. Während der Mann aß, ging Ruad zur Tür und beobachtete die Straße nach Mactha. Alles war ruhig.
    »Okessa sucht immer noch Informationen über einen einäugigen Handwerker«, erzählte Gwydion, als Ruad sich wieder zu ihm gesellte.
    »Das bezweifle ich nicht. Ich habe einen Fehler gemacht.«
    »Du hast dem Jungen, Lug, etwas Magisches gegeben?«
    »Ja.«
    »Das war nicht klug.«
    »Klugheit sollte von Mitgefühl gemildert werden«, stellte Ruad fest. »Bist du den weiten Weg gekommen, nur um mich zu warnen?«
    »Ja und nein«, antwortete Gwydion. »Ich hätte dir eine Nachricht geschickt, aber ich habe ein dringendes Problem, bei dessen Lösung du mir vielleicht behilflich sein kannst.«
    »Sprichst du von der Veränderung in den Farben?«
    »Dann ist das nicht nur in meinem Kopf? Gut«, sagte Gwydion. »Dann schwinden also auch nicht meine Kräfte, wie ich dachte?«
    »Nein. Das Rot schwillt an, die anderen Farben verblassen. Das Grün ist am schlimmsten betroffen, da es die vorderste Farbe ist.«
    »Was ist der Grund dafür?« fragte Gwydion. »Ich weiß, dass die Farben tanzen und sich verändern, aber nie so extrem. Das Grün ist nur noch ein schimmernder Faden. Ich habe schon, Mühe, ein krankes Kalb zu heilen.«
    Ruad ging zum Kamin, entfernte die Asche und bereitete ein neues Feuer vor. »Ich habe auch keine Antworten, Gwydion. Es gibt ein Ungleichgewicht, die Farben haben ihre Harmonie verloren.«
    »Ist das, deinem Wissen nach, schon jemals zuvor geschehen? Ich habe noch nie von etwas Derartigem gehört.«
    »Ich auch nicht. Vielleicht kommt es auch von allein wieder ins Lot.«
    »Meinst du?« fragte Gwydion. Ruad zuckte mit den Schultern. »In der Luft liegt ein hässliches Gefühl«, wisperte der alte Mann. »In Mactha sind allein in der letzten Woche drei Morde verübt worden. Angst geht um, Ruad.«
    »Das ist der Einfluss des Rot, es wühlt die Gefühle auf. Ich habe es auch gespürt – eine Ungeduld, ein Zorn, der meine Arbeit beeinträchtigt. In letzter Zeit war ich nicht mehr in der Lage, das Blau zu benutzen

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