Ritter des dunklen Rufes
wie, wenn ich fragen darf, sollen wir entscheiden, wer ein Nomade ist? Sie leben seit Jahrhunderten unter uns, es heißt, dass in vielen vornehmen Familien Nomadenblut fließt.«
»Kennt Ihr solche Familien?« fragte Okessa mit glitzernden Augen und beugte sich vor.
»Nicht mit Gewissheit.«
»Dann seid vorsichtig mit dem, was Ihr sagt. Laut Erlass sind Nomaden ein unreines Volk, das aus dem Königreich entfernt werden muss.«
»Ich danke Euch für diese Vorabinformation«, sagte Errin mit gezwungenem Lächeln. »Seid versichert, dass ich dementsprechend handeln werde.«
»Das hoffe ich. Übrigens, diese Geschichte mit Ollathair fasziniert mich. Sagt mir, kennt Ihr zufällig einen Handwerker oder Gutsbesitzer in Macthas Umgebung, der nur ein gutes Auge hat?«
»Es ist nicht meine Gewohnheit, mit den niederen Ständen zu verkehren, Herr Seher, aber ich werde mich für Euch umhören lassen.«
»Ich danke Euch. Würdet Ihr die Sache wohl dringlich behandeln?«
»Das werde ich in der Tat.«
Errin war sofort zum Herzog gegangen, der ihn in seine privaten Gemächer im Westturm mitnahm.
»Es steht uns nicht zu, einen königlichen Erlass in Frage zu stellen«, erklärte der Herzog. »Und lass uns nicht vergessen, dass es unseren Reichtum mehrt. Du und ich sind in einer glücklichen Lage. Keiner von uns hat irgendwelches Nomadenblut in der Verwandtschaft, wir können also nur Nutzen daraus ziehen.«
Errin hatte genickt. Er hatte immer schon gewusst, dass der Herzog ein harter und grausamer Mann war, aber er hatte geglaubt, es wäre auch eine edle Gesinnung in ihm. Als er jedoch jetzt in die dunklen Augen des Herzogs blickte, sah er dort nur Gier. Der Herzog von Mactha stand auf und lächelte. Er war größer als Errin, der einst sein Page gewesen war, ein gutaussehender Mann, der auf die vierzig zuging, mit einem sorgsam gepflegten, gegabelten Bart. »Mach dir keine Gedanken über ein paar Bauern, Errin. Das Leben ist kurz.«
»Ich denke an meinen Leibdiener, Ubadai. Er war mir ein treuer Gefährte – und er hat mir das Leben gerettet. Erinnerst du dich? Die Bärenhatz, als mein Pferd stürzte? Das Untier hätte mich in Stücke gerissen, aber Ubadai stürzte sich von seinem Pferd auf den Rücken des Tiers.«
»Eine tapfere und kühne Tat, aber ist es nicht das, was wir von unseren Gefolgsleuten erwarten? Gib ihm Geld und schicke ihn nach Garaden. Und jetzt wollen wir uns fröhlicheren Dingen zuwenden. Der König kommt im Frühjahr nach Mactha, und ich möchte, dass du das Fest ausrichtest.«
»Ich danke Euch, Herr. Das ist eine große Ehre für mich.«
»Unsinn, Errin, du bist mit der beste im Organisieren, den ich kenne. Der schlechteste Schwertkämpfer und der beste Koch.« Der Herzog hatte gekichert, und Errin hatte sich verbeugt und den Raum verlassen.
Jetzt, hier vor dem Feuer, waren sein Herz schwer und seine Gedanken voll düsterer Vorahnungen.
Okessa war eine Schlange, und es würde lange dauern, bis Errin die Bosheit in seinen Augen vergessen würde, als er gefragt hatte: »Kennt Ihr solche Familien?« Das allein hatte den einäugigen Handwerker, Ruad Ro-fhessa, gerettet. Errin würde niemals einen Mann an den Seher ausliefern. Doch wohin führte ihn das?
Gedankenverloren merkte er nicht, dass Ubadai sich näherte. »Essen«, sagte der Diener und stellte ein silbernes Tablett neben Errins Stuhl.
»Ich habe keinen Hunger.«
Ubadai blickte lange in Errins blasses Gesicht. »Was schlimmes, heh? Kein Wein. Kein Essen.«
»Du musst Mactha verlassen … noch heute Nacht. Nimm alle Nomaden-Diener mit, und geht in den Wald. Dahinter liegt das Meer. Seht zu, dass ihr so weit wie möglich vom Königreich wegkommt.«
»Warum?«
»Bleiben bedeutet sterben. Alle Nomaden sollen in Garaden zusammengepfercht werden. Das ist ein Ort des Todes, Ubadai, ich fühle es. Bereite die Diener vor.«
»Es wird geschehen«, versicherte Ubadai ihm.
Ruad richtete den versilberten Spiegel aus und zog seine Rasierklinge an dem Lederband ab, das von der Wand hing. Als er, mit der Schärfe zufrieden war, wusch er sein Gesicht mit warmem Wasser und begann, die schwarz-grauen Stoppeln sorgfältig abzuschaben.
Das Gesicht, das er sah, verdiente einen Bart, dachte er: einen schweren, alles verbergenden Bart, der die hohlen Wangen und den klaffenden Mund mit den schiefen Zähnen verdeckte.
»Du bist nun hässlicher denn je«, erklärte er seinem Spiegelbild. Er ging zum Tisch, schob die Reste seines Frühstücks beiseite und
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