Ritter und Raufbolde
gleichem Maße den Vorstellungen, Träumen und Fantasien unserer Zeit geschuldet wie der historischen ,Wirklichkeit‘ der Epoche. Auch wenn jede Rekonstruktion von geschichtlichen Ereignissen notwendigerweise Konstrukt sein muss, wird gerade im Umfeld des mittelalterlichen Krieges deutlich, in welchem Maße das Mittelalter zum Zielpunkt romantisierender Visionen wurde und wird. Im Vergleich dazu zeigt sich der hier vorgestellte Krieg wesentlich grausamer und blutiger.
Wenn in diesem Buch vom Mittelalter die Rede ist, beziehe ich mich auf die Zeit zwischen 500 und 1500, wobei Vor- und Rückgriffe über diese Grenzen hinaus durchaus vorkommen. Kriegsgeschichtlich verweisen diese Abgrenzungen grob auf |13| die Zeit nach den Kriegen des römischen Imperiums und vor den zunehmend durch Feuerwaffen geprägten Kriegen der Frühen Neuzeit. Im Mittelalter findet Krieg überwiegend von Angesicht zu Angesicht statt und sind stehende Berufsheere eher die Ausnahme als die Regel. Die vorgestellten Beispiele und Überlegungen beziehen sich vornehmlich auf Westeuropa (Deutschland, England, Frankreich und Italien).
Die farbig hervorgehobenen Kastentexte nehmen sich des für den Krieg so wichtigen Themas der Waffen an. Hier werden die wichtigsten Werkzeuge des Krieges vorgestellt, wobei der Begriff ,Waffe‘ bewusst weit gefasst ist und auch verschiedene andere Gewaltmittel des Krieges wie Hunger und Feuer einbezieht. Auch wenn es im Folgenden um Kriege zu Land gehen wird, sollte nicht der Eindruck entstehen, das Mittelalter hätte keinen Seekrieg gekannt.
Seekrieg
Kriegführung war im Mittelalter nicht auf das Land beschränkt. Auch zu Wasser versuchte man möglichst viel Schaden an den Feind heranzutragen. Diesen Versuchen waren allerdings enge Grenzen gesetzt: Schiffe bewegten sich, wenn immer möglich, in Sichtweite zur Küste; Seeschlachten auf dem offenen Meer waren eine Seltenheit. Schiffe wurden für den |14| Transport von kriegswichtigen Gütern eingesetzt, das Mittelalter kannte aber auch spezielle Kriegsschiffe für den Kampf zur See. Diese Schiffe wurden zunächst durch Ruder angetrieben, was sie vom Wind unabhängig und manövrierfähiger machte. Auf dem Mittelmeer waren dies vor allem Galeeren, in der Nordsee Schiffe vom Typ der Drachenboote. Die Grenzen zwischen Transport- und Kriegsschiffen waren dabei fließend. Auf den nördlichen Meeren verschwanden sie mit der Optimierung der Kogge durch einen Kiel im 11. Jahrhundert. Diese sehr hochwandigen Segelschiffe wurden zum Transport von Gütern – man denke nur an die zahlreichen Hansestädte, die eine Kogge im Siegel führen – und zum Kampf eingesetzt. Sie ragten deutlich höher aus dem Wasser als ihre rudergetrie– benen Konkurrenten; da Seekrieg wesentlich eine Fortsetzung des Landkrieges von Deck zu Deck war, lag hier ein entscheidender Vorteil: Von der Kogge kämpfte man von oben nach unten. Dies überwog alle anderen Nachteile dieser Schiffe: Sie waren schwerfällig und auf Wind angewiesen und verdrängten dennoch die anderen Schifftypen von Nord- und Ostsee. Da sie für den Krieg und den Handel gleichermaßen benutzt werden konnten, mussten die Kriegsherren keine speziellen Flotten unterhalten: Im Bedarfsfall requirierten sie einfach Handelsschiffe.
Im Mittelmeer blieben Galeeren im ganzen Mittelalter im Einsatz: Die See ist hier weniger rau, und es kommt öfter zu Flauten, was den Einsatz von geruderten Schiffen begünstigte. Der entscheidende Schritt zur neuzeitlichen Seekriegführung war die Ausrüstung mit Kanonen. Als 1513 zum ersten Mal in Europa ein Schiff durch den Einsatz von Kanonen versenkt wurde, war das Mittelalter vorbei.
|15| Zeit für Kriege
Am 27. Juli 1214 standen sich bei Bouvines (Frankreich) die Heere des französischen Königs Philipp II. Augustus und einer englisch-welfischen Allianz unter dem römischen Kaiser Otto IV. gegenüber. Der Sieg des Franzosen war für die Entwicklung der französischen Monarchie und für die Vorrangstellung Frankreichs in Europa entscheidend. In der zeitgenössischen Geschichtsschreibung fand aber auch ein ganz anderer Aspekt dieser Schlacht viel Beachtung: Der 27. Juli war ein Sonntag. An einem Sonntag aber kämpft ein guter Christ nicht, weil der Sonntag der Tag des Herrn ist. So erzählt der Chronist Roger de Wendover von einer Beratung im Lager Ottos:
Aber weil Sonntag war, schien es den Weiseren im Heer, und besonders einem gewissen Graf Reginald von Boulogne, unehrenhaft zu sein, an solch einem
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