Ritter und Raufbolde
über den Krieg sind aber von einer Tendenz geprägt, den Krieg heroisch und verharmlosend zu präsentieren. In diesem Bemühen ähneln viele Geschichtserzählungen des Mittelalters dem Comic eines Harold Foster. Sie konzentrieren sich auf die ritterlichen Kämpfer (andere Kriegsteilnehmer spielen eine |10| untergeordnete Rolle), vernachlässigen das Elend eines jeden Krieges und seiner Opfer und sind bestrebt, Helden zu machen. Denn Helden entstehen in erster Linie in den Erzählungen vom Krieg, nicht im Krieg selbst.
Dieses Buch will einen Blick hinter die Heldenversionen auf den ,eigentlichen Krieg‘ werfen. Viele der zeitgenössischen Geschichtsdarstellungen haben mit dem Krieg des Mittelalters so viel zu tun wie Hollywood-Filme mit den Kriegen des 20. Jahrhunderts. Hier sollen aber nicht nur die strahlenden Ritter, sondern auch die schmutzigen und blutbefleckten ,Rauf bolde ‘ vorgestellt werden; nicht nur das Ringen um Sieg und Ehre, sondern auch dessen schmerzliche Folgen.
Dabei werden einige Aspekte des mittelalterlichen Krieges unberücksichtigt bleiben, die für diese Fragestellung von wenig Relevanz sind, wie etwa die Logistik des mittelalterlichen Krieges oder etliche Aspekte seiner Strategie und Taktik.
Was ist ein Krieg?
Es gibt heute eine schier endlose Fülle an Definitionen für den Begriff ,Krieg‘. Mittelalterliche Geschichtsschreiber haben hingegen mit diesem Terminus kein Problem und sehen keinen Bedarf, seinen Inhalt zu klären. Sie verstehen darunter eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen bewaffneten Gruppen mit dem Ziel, den Gegner zu bezwingen.
Entscheidend ist hierbei, dass die beteiligten Gruppen eine gewisse Größe aufweisen, wobei man sich die Kontingente – verglichen mit modernen oder antiken Kriegen – nicht allzu groß vorstellen darf. Oftmals standen sich ,nur‘ einige Hundert Mann gegenüber. Eine präzise und einheitliche Unterscheidung zwischen Krieg, Schlacht, Feldzug, Scharmützel und anderen Konfrontationen findet sich in den mittelalterlichen Quellen |11| nicht. Formale Abgrenzungen von Kriegs- gegenüber Friedenszeiten gab es nicht immer.
Genau wie in modernen Zeiten wurde auch im Mittelalter der Krieg als ein Raum besonderer Bedingungen und Rechtsverhältnisse begriffen. Das Töten der Feinde wurde als kriegsentscheidende Gewaltform immer mitgedacht, auch wenn es – gerade im frühen Mittelalter – als Sünde kirchlichen Bußregelungen unterworfen war.
So hielten etwa im Jahr 841 die Sieger der Schlacht von Fontenoy (Burgund) eine Bischofsversammlung auf dem Schlachtfeld ab, in der unter anderem festgelegt wurde, dass die im Kampf begangenen Tötungen von allen Bußleistungen frei seien, weil die Schlacht als Gottesurteil zu deuten sei. Es bedurfte also einer speziellen Begründung, um die Kämpfer von den üblichen kirchlichen Bußleistungen freizusprechen. Dies gilt für die Schlacht von Fontenoy im Besonderen, weil sich hier in einem buchstäblichen Bruderkrieg die Söhne Ludwigs des Frommen († 840) – Lothar I., Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche – im Streit um die Herrschaft im Frankenreich gegenüberstanden. Es war also ein Kampf unter Christen, unter Landsleuten, ja unter Verwandten. Dieser Umstand erhöhte den Legitimationsdruck auf die Sieger. Der Krieg war also kein rechtsfreier Raum, folgte aber anderen Gesetzen als der Frieden.
Was heißt ,Mittelalter‘?
Mit dem Mittelalter steht eine historische Epoche im Zentrum dieses Buches, die sich großer Beliebtheit erfreut. In zahlreichen Filmen, Büchern, Ausstellungen und Veranstaltungen wird das Mittelalter – oder das, was man dafür hält – sehr lebendig präsentiert. Auch der Krieg hat in dieser Mittelalterbegeisterung seinen festen Platz. Etliche Kostüm-, LARP- (Live Action Role |12| Playing), Reenactment- und Schauspielgruppen haben sich dem Ziel verschrieben, den mittelalterlichen (Kriegs-)Alltag möglichst ,echt‘ nachzustellen. Das Bemühen um (vermeintliche) Authentizität richtet sich dabei in erster Linie auf die Bekleidung und Bewaffnung, die teilweise sehr aufwendig nach mittelalterlichen Bildern und archäologischen Überresten nachgearbeitet werden. Hier ist längst ein florierender Geschäftsbetrieb entstanden, der die Sehnsucht nach dem Mittelalter vermarktet. Grundlage für diese Begeisterung kann nur eine selektive Wahrnehmung des Mittelalters und auch des mittelalterlichen Krieges sein. Das, was hier unter ,Mittelalter‘ verstanden wird, ist mindestens in
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