Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ritter und Raufbolde

Ritter und Raufbolde

Titel: Ritter und Raufbolde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauss
Vom Netzwerk:
delegierenden Feldherren mehr Achtung entgegenzubringen. So unterscheidet Radulfus von Caen († n. 1130) in seinen Gesta Tancredi, in welchen er die Taten des normannischen Fürsten Tankred v. Tarent († 1112) auf dem ersten Kreuzzug schildert, zwischen den Aufgaben eines Heerführers
( dux
) und denen eines Kämpfers
( miles )
: Der Heerführer soll sorgsam abwägen, ob und wie der Kampf |108| gesucht und ausgerichtet werden solle; die Kämpfer – und nur sie – sollen sich schlagen. Radulfus tadelt Tankred explizit dafür, dass er zu wenig wie ein
dux
und ausschließlich als
miles
agiert habe:
    Ich [Radulfus] rate Dir [Tankred] also: Benimm Dich wieder wie ein Heerführer (dux). Wäge zuerst ab und stelle die Abteilungen so auf, wie es Dir sinnvoll erscheint. 3
    Militärischer Sachverstand und Aufgabenteilung war dem Mittelalter nicht fremd. Gerade auch Willehalm ist ein Beleg dafür, dass die militärische Bedeutung von Disziplin und Gruppenkampf sehr wohl verstanden wurde; anders als in früheren literarischen Werken finden sich hier etliche Hinweise darauf, dass der Kampf als Teamaktivität begriffen wird.
    Von allen Überlegungen zu Taktik, Strategie und den Aufgaben eines Heerführers unberührt blieb freilich im ganzen Mittelalter das hohe Ansehen des tapfer kämpfenden Anführers. Die Wertschätzung für den individuellen Kämpfer lässt sich aber nicht immer mit den Anforderungen des Krieges in Einklang bringen. Um noch einmal den US-General Patton zu Wort kommen zu lassen: „An Army is a team. It lives, sleeps, eats, and fights as a team. This individual heroic stuff is pure horseshit.“
    Auch im Mittelalter wurde eine Schlacht nicht durch die Taten eines Einzelnen entschieden. Dennoch treten uns Schlachten und militärische Aktionen in zahlreichen mittelalterlichen Quellen als Zweikampf oder Einzelaktion entgegen. Die Aktionen der großen Masse werden dabei zu einer Art Folie, vor der sich die individuellen Taten der Helden entfalten können. Diese Erzähltradition findet sich schon in den Epen Homers. Das ist nicht der Realität des Krieges, sondern der Darstellungsabsicht der Chronisten und dem Interesse ihres Publikums geschuldet. |109| Man wollte Heldengeschichten hören, wollte den Krieg als Schauplatz des Heldentums verstehen. Man hat sich – so könnte man überspitzt formulieren – den Krieg schöngeredet und schöngeschrieben. Dazu gehörte die Fokussierung auf bestimmte Individuen genauso wie die Konzentration auf die heldischen Momente. So lesen wir vergleichsweise wenig über die einfachen Fußkämpfer und erfahren auch meist nur von Flucht und Feigheit des Gegners. Eine Schlacht zerfällt durch diese Art der Darstellung in eine Reihe von Zweikämpfen. Hierzu zählt auch, dass militärische Aktionen oftmals einer Person zugeschrieben werden, obwohl sie in Wirklichkeit von einer Gruppe von Kämpfern ausgeführt wurden. So kämpft König Karl gegen die Sachsen und schlägt Heinrich V. die Schlacht von Agincourt. Diese Darstellungsweise ist nicht nur praktisch, weil weniger aufwendig und kompakter als komplizierte Formulierungen, die auf die Masse der Kämpfer verweisen. Sie unterstreicht auch den personalen Charakter der Historiographie, die sich an ,großen Männern‘ ausrichtet.
    Der Stechhelm für Turnierkämpfer
    Der Stechhelm, der am Ende des Mittelalters und in der Frühen Neuzeit benutzt wurde, war kein Kriegs-, sondern ein Turnierhelm. Er sollte dem Turnierkämpfer beim Lanzenstechen (Tjosten) den größtmöglichen Schutz gewähren. Das Lanzenstechen war eine sportähnliche Schauveranstaltung, bei der man Verwundungen vermeiden wollte. Daher gewährte der Stechhelm – auch als Froschmaul bezeichnet – seinem Träger durch einen schmalen Schlitz nur dann Sicht, wenn er sich nach vorne beugte. Kurz vor dem Aufprall richtete sich der Turnierkämpfer dann auf, führte den Lanzenstoß letztlich blind durch und war gegen Verletzungen durch Lanzensplitter gut geschützt.
    |110| Helden leiden
    Helden sind nicht nur mutig und siegreich – sie leiden auch, wie wir einem zweiten Zitat aus Wolfram von Eschenbachs Willehalm entnehmen können; hier geht es um den christlichen Jüngling Vivianz, der sich im Zweikampf wacker schlägt und als Held bewährt; er wird dabei von einem Heiden mit der Lanze schwer verwundet:
    Der Held zog die Lanze heraus und band das Eingeweide hoch, als ob ihn kein Nerv vom Kampf schmerzte; der rühmenswerte Jüngling stürzte sich wieder in die Schlacht.

Weitere Kostenlose Bücher