Ritter und Raufbolde
ihm lieber das rechte Auge aus. Wenn er seinen Schild trägt, wird das linke Auge [durch den Schild] bedeckt sein, und er wird gar nichts mehr sehen können.“ 16
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|105| Wer den Krieg entscheidet – Helden und Feiglinge
J eder Krieg macht Helden, weil jeder Krieg Helden braucht. Krieg ist lebensgefährlich und existenzbedrohend, grausam, hart und entbehrungsreich. Menschen sterben und töten andere, es fließt Blut – von Schweiß und Tränen ganz zu schweigen. Dennoch ziehen Männer (und heute auch Frauen) in den Krieg, dennoch übt der Krieg eine nachgerade unheimliche Faszination aus. Diese liegt sicherlich auch an der existenziellen Erfahrung, die mit jedem Krieg einhergeht – und an den Helden.
Helden und Krieg gehören zusammen, weil jeder Held seines Krieges bedarf. Im Kampf mit einem – möglichst mächtigen und bösen – Gegenüber kann man(n) sich bewähren und zeigen, aus welchem Holz man geschnitzt ist. Nicht im klugen Argumentieren oder in kreativer Kunstfertigkeit, sondern im kraftvollen Zupacken zeigt sich der Held; dies gilt für Parzival wie für die Helden unserer Tage. Der Krieg und die Bewährung in der Schlacht werden in der europäischen Kultur (und weit darüber hinaus) als Wege zur gesellschaftlichen Anerkennung verstanden: Der erfolgreiche Krieger schöpft aus seiner Tätigkeit soziale Reputation.
Jan van Heelu macht diesen Zusammenhang in einem Kommentar zu Herzog Johann von Brabant, dem Sieger der Schlacht von Worringen (1288), deutlich:
|106| Der Herzog [kehrte] mit seinem Heereszug zurück, mit so großer Ehre, wie man nur jemals einen Fürsten kommen sah, wie wohl die Taten beweisen, die man nicht hoch genug preisen kann, die zuvor von ihm die Geschichte berichtet: Denn es ist der Preis der höchste (den man nur irgendeinem Mann geben kann), dass durch sein Schwert in Ehren viel mehr Scharen umkamen als die Seinen, welche ohne Zweifel die Besten des ganzen Erdreiches waren. 1
Der Weg zum Ruhm führt über die Leichen der Feinde; nichts kann so viel Ehre einbringen wie die erfolgreiche Anwendung kriegerischer Gewalt: Wer mehr Feinde tötet als eigene Männer verliert, ist ein ehrenvoller Held.
Helden kämpfen einsam
In der mittelalterlichen Dichtung tritt uns der Zusammenhang von Heldentum und Kampf besonders klar entgegen; so etwa im Versepos Willehalm des Wolfram von Eschenbach aus dem 13. Jahrhundert:
Voller Kampfeswut – er wollte noch nicht im Verband kämpfen – kam Terramer angesprengt auf einem Pferd, das Brahane hieß. Er ritt auf das Schlachtfeld und wollte den Kampf entscheiden. Er fürchtete die Schande, wenn er nicht in das Gefecht eingriffe. 2
Terramer ist ein heidnischer König, der gegen die Christen unter Markgraf Willehalm ins Feld zieht, weil dieser seine Tochter Gyburc für sich gewonnen und zum Christentum bekehrt hat. Die Auseinandersetzung in diesem Epos ist also elementar und agonal: Es stehen Heiden gegen Christen; Auslöser des Streites sind eine (schöne) Frau und gekränkte (männliche) |107| Ehre. Natürlich siegen am Ende Willehalm und sein Christentum. Trotz der eindeutigen Rollenverteilung wird auch der König der Heiden, wird auch Terramer als wackrer Kämpfer gezeigt. Schließlich bedarf ein Held – Willehalm – eines angemessenen Widerparts.
An diesem Beispiel wird deutlich, was Grundlage für etliche Facetten des mittelalterlichen Umgangs mit Kriegen ist: Ein Held muss kämpfen, und er muss dies allein tun. Nicht im Verbund, also in der geschlossenen Formation der Streiter, will Terramer kämpfen, sondern allein. Der Einzel- oder genauer Zweikampf, in dem sich zwei Protagonisten gegenüberstehen, ist das geeignete Medium, um Helden zu machen; in der Gruppe hingegen geht die individuelle Leistung unter. Sie ist für das Heldentum nur begrenzt tauglich und nur dann geeignet, wenn ein Held gegen viele kämpfen muss.
Die Logik gilt auch für den Heerführer. Ganz in diesem Sinne bemühen sich zahlreiche mittelalterliche Quellen, eine Verbindung zwischen den adligen Heerführern und dem tatsächlichen Kämpfen herzustellen. Da finden wir Könige und Herzöge nicht auf dem Feldherrnhügel, sondern mitten im Kampf; nicht im Delegieren und Kommandieren, sondern im Agieren wurden die heroischen Qualitäten eines Feldherrn gesehen. Damit geht freilich nicht einher, dass es kein Verständnis und keine Würdigung einer Feldherrnkunst gegeben hätte. Es lässt sich sogar eine Tendenz erkennen, dem im modernen Sinne rational
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