Ritter und Raufbolde
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Helden sind hart im Nehmen. Ein wahrer Held vermag zu leiden, und die Kriege des Mittelalters gaben ihren Kämpfern reichlich Gelegenheit dazu. Die wahre Größe des Helden erschließt sich nicht nur im Triumph, sondern auch im Scheitern – Helden können auch tragische Helden sein. Von solchen lesen wir in der Literatur des Mittelalters immer wieder: Roland fällt im Kampf gegen die Heiden, Siegfried erliegt den Intrigen des Wormser Königshofes.
Die tragische Dimension der Helden hat für die Krieg führende Gesellschaft kompensatorische Funktion: Sie stiftet dem Leiden Sinn. Wo die Teilnahme am Krieg zumindest teilweise auf Freiwilligkeit basiert und mit Risiken für die persönliche Unversehrtheit verbunden ist, helfen Gedankenmodelle wie das Heldentum, Männer zur Kriegsteilnahme zu motivieren. Neben Beute und Sold winkten dem erfolgreichen Kämpfer eben auch Ehre und Ansehen – und Verstümmelung und Tod. Die mittelalterliche Gesellschaft honorierte kriegerische Erfolge mit Prestigegewinn. Dies gilt freilich nur oder vornehmlich für die kriegeradlige Elite. Mitgliedern dieses Standes gereichte die Teilnahme am Kampf zur Ehre, wobei Ehre und ökonomischer |111| Vorteil nicht zu weit entfernt voneinander gedacht werden dürfen: Auch ,ehrenhafte‘ Ritter ließen sich für ihren Einsatz bezahlen, und gesellschaftliches Ansehen ließ sich im Sinne eines ,symbolischen Kapitals‘ (Pierre Bourdieu) wieder in ökonomischen Gewinn umwandeln. Man war nicht nur reich an, sondern auch reich durch Ehre.
Die Verbindung von Ehre, Heldentum und Scheitern sollte nicht dahingehend missverstanden werden, dass dieses Scheitern das angestrebte Ziel der mittelalterlichen Krieger-Helden gewesen wäre. Auch wenn den literarischen Helden oft etwas Tragisches anhaftet, so war Scheitern nicht das Ziel des heldischen Agierens. Gewalt sollte in erster Linie anderen zugefügt, nicht selbst erlitten werden. Das Heldentum, der heroische Kampf konnte als Kompensation dienen, um das kriegerische Scheitern zu bewältigen: Wir haben zwar verloren, aber dafür haben wir immerhin tapfer gekämpft. In die gleiche Richtung können auch Erzählstrategien deuten, die auf das Martyrium der gefallenen Kämpfer verweisen. Durch den jenseitigen Lohn gewinnt das Scheitern und der Tod eine tröstliche Dimension: Im christlichen Verständnis von Tod, Auferstehung und ewigem Leben wurde der Tod für die Sache des Glaubens zum Lohn für den tapferen Christen – auch eine Art Heldentum.
Krieg ist Männersache
Der Krieg ist kein Naturphänomen oder -ereignis, sondern von Menschen gemacht. Menschen kämpfen im Krieg gegeneinander, um bestimmte Ziele zu erreichen. In mittelalterlichen Kriegen waren es überwiegend Männer, die sich gegenseitig bekämpften. Es kam zwar vor, dass sich auch Frauen aktiv beteiligten, dies war aber die Ausnahme und wurde entsprechend |112| kommentiert, wie etwa im Falle der sogenannten Jungfrau von Orl ans. Als der Earl von Leicester in den Auseinandersetzungen mit dem englischen König Heinrich II. im Jahr 1173 seine Frau bewaffnet haben soll, wird dies von königstreuer Seite als „Wahnsinn“
( folie
) bezeichnet. 5
In anderen Fällen wird der Einsatz von Frauen im Krieg explizit als Hinterlist gewertet. In diesem Sinne berichtet Johann von Winterthur von der Belagerung der Stadt Zürich durch den Herzog von Österreich Albrecht I. – den späteren König des römisch-deutschen Reiches – im Jahr 1292. Die herzoglichen Truppen stehen vor der Stadt, die nach einer Niederlage von (männlichen) Kämpfern entblößt ist (siehe S. 98). Die Bürgerinnen der Stadt greifen nun zu einer List:
Die Frauen [...], die Waffen tragen konnten, legten Waffen an und stellten sich mit den Lanzen an einem erhöhten Ort innerhalb der Stadtmauern, an dem viele Bäume standen auf, damit dadurch die Feinde von Furcht befallen würden. 6
Als der Herzog die bewaffneten Frauen auf der innerstädtischen Erhebung sieht, glaubt er, ein starkes Entsatzheer sei in Zürich eingetroffen, und bricht die Belagerung ab. Der Einsatz der Frauen wird hier eindeutig nicht als Handlungsoption, sondern als List verstanden: Es ist für den Chronisten nicht denkbar, dass die Frauen tatsächlich kämpfen. Hätte Herzog Albrecht gewusst, dass es sich ,nur‘ um Frauen handelt, hätte er sich nicht zurückgezogen.
Der Krieg war also im Mittelalter weitgehend ein Betätigungsfeld für Männer. Diese im Krieg aktiven Männer lassen sich grob in zwei Gruppen
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