Rittermord
die Höhle des Löwen. Ins ›Wirtshaus an der Rauschen‹.«
»Da wirst du Pech haben«, sagte Beate. »Montag ist Ruhetag. Außerdem tritt Kuno heute in so einer Volksmusiksendung im Fernsehen auf.«
»Live?«
»Ich denke schon. Aber morgen kannst du hingehen. Dienstags und donnerstags singt er nämlich für seine Gäste.«
»Okay«, sagte ich. »Wir sehen uns morgen.«
Zum Abschied küßte sie mich auf die Wange. Ich war ganz gerührt.
Kapitel 23
B 51
Zurück fuhr Gina. Ich hatte die Lehne des Beifahrersitzes flach gestellt und versuchte zu schlafen. Nichts ging, weil das Differential des Mitsubishi jaulte.
Ich schaltete das Radio ein. Der SWF spielte Kunos Hymne an die Eifel.
»Oh du mein Oiiihfelland, dir gilt mein Trachten und mein Sehnen, oh du mein Oiiihfelland, du schenkst mir Lachen und auch Tränen, oh du mein Oiiiiiih –«
»Schluß!« Gina schaltete aus. »Das ist ja unerträglich. Schlimm genug, wenn Kuno singt, da mußt du nicht noch mitgröhlen.«
»Ich war früher im Schulchor«, sagte ich.
»War das die Schule, an der du zweimal sitzengeblieben bist?«
»Laß mich doch in Ruhe!«
Das ließ sie mich auch bis kurz vor Stadtkyll. Dort standen wir im Stau, weil ein Sattelschlepper voller Federvieh verunglückt war. Der Auflieger war umgekippt, die Käfige kaputt, und überall liefen verstörte und verletzte Hühner herum.
Ein zweiter Lkw mit leeren Käfigen traf ein. Die beiden Neuankömmlinge sowie der Fahrer des Sattelzuges machten sich daran, die Hühner einzufangen. Tiere, die nicht mehr zu gebrauchen waren, töteten sie, indem sie ihnen mit ihren Stiefelabsätzen den Hals brachen.
»Mein Gott, das kann ich nicht mitansehen«, sagte Gina. »Auch wenn’s nur Hühner sind, so darf man doch mit Tieren nicht umgehen.«
»Was schlägst du vor? Sie herumliegen lassen, bis sie krepieren? Oder sie alle zum nächsten Tierarzt schaffen?«
»Du bist ein Zyniker, Tom. Ja, genau das bist du – ein Zyniker.«
»Das streite ich ab.«
Gina ließ den Motor an und rangierte den Wagen, bis sie Platz zum Wenden hatte.
»Wir kommen auch auf anderen Wegen nach Hause«, sagte sie. »Zur Not fahr ich querfeldein.«
»Na prima! Wie viele Schnecken, Feldmäuse und Igel wälzst du dabei platt? Hör doch auf mit deinem scheinheiligen Getue.«
Jetzt war sie wirklich sauer. Das verschaffte mir Ruhe bis kurz vor Gerolstein. Da sprach sie mich so überraschend an, daß ich erschrak.
»Du bist mir noch eine Erklärung für deinen Zusammenbruch auf dem Friedhof schuldig.«
»Das bin ich nicht.«
»Oh doch. Wir haben meinen Verlobten zu Grabe getragen, und das war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, um einen Nervenzusammenbruch nebst Schreikrampf zu kriegen.«
»Ich hab mir das nicht ausgesucht.«
»Das weiß ich. Aber ich will wissen, was mit dir los ist. Und ob ich wieder mit so etwas zu rechnen habe.«
Ich hatte bisher mit niemandem darüber geredet, und dann sollte ausgerechnet Gina die erste sein? Nee, Mädchen, du bestimmt nicht, brummte ich innerlich. Bis mir auf einmal klar wurde, daß da sonst niemand mehr war, mit dem ich hätte reden können. Keine Familie, keine Freunde, keine Frauen. Gina war alles, was ich noch hatte. Der Kloß, der mir im Hals steckte, war mächtiger als ein Hefeknödel.
»Am neunten April dieses Jahres hat sich Jennifer aus dem dritten Stock des Rosenberg-Sanatoriums in Boniswil in der Schweiz gestürzt«, sagte ich. »Unten wurde sie von einem Zaunpfahl aufgespießt. Sie war sofort tot.«
Der Pickup wurde langsamer und rollte auf dem Seitenstreifen aus, wo der Motor erstarb. Gina sagte nichts, aber ich spürte, daß sie mich ansah.
»Margot war eine Säuferin und eine Idiotin dazu, die nichts Besseres zu tun hatte, als in zweiter Ehe einen Junkie zu heiraten«, erzählte ich weiter. »Einen Junkie, für den es die normalste Sache der Welt war, seine Stieftochter anzufixen. Was er sonst noch mit ihr angestellt hat, weiß ich nicht. Nach Margots Tod wollte ich Jennifer zu mir nehmen, aber sie sagte, sie wolle lieber in Berlin bei Olafso hieß ihr Stiefvater – bleiben. Ich hab damals überhaupt nicht geblickt, was da ablief. Sie muß dann auch auf den Strich gegangen sein, denn sie wurde mal bei einer Razzia festgenommen. Dabei hat sie ein ehemaliger Kollege aus Bonn, der jetzt in Berlin ist, erkannt und mich informiert. Ich hab sie sofort zu mir geholt, aber mir war auch klar, daß sie nur mit einer Therapie eine Chance haben würde. Dafür
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