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Rittermord

Rittermord

Titel: Rittermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Noske
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oder ließ sich chauffieren. Der Rest ging per pedes.
    Der Friedhof lag unmittelbar neben der auf Betonstelzen geführten Umgehungsstraße. Das Summen des Verkehrs war gegenwärtig wie ein Schwarm Hornissen. Wie man hier seine letzte Ruhe finden sollte, war mir schleierhaft.
    Als wir ankamen, war der Sarg bereits eingetroffen. Ebenso der Pastor, der besorgte Blicke zum Himmel schickte. Ohne auf die fußkranken Alten zu warten, fing er an.
    Wir standen etwas abseits. Gina war vorangegangen, ich war ihr gefolgt. Um mich abzulenken, las ich die Namen auf den umliegenden Grabsteinen. Josefs unmittelbare Nachbarn hießen Ida und Gerhard Fuchs. Ich wünschte ihnen, daß sie sich vertrugen.
    Mein Blick wanderte den Stamm des Baumes hoch, neben dem wir standen. Ich registrierte das angenagelte Vogelhäuschen, ich sah die Blätter – und schlagartig blieb mir die Luft weg.
    Wir standen neben einer Blutbuche!
    »Oh nein, nicht schon wieder«, stöhnte ich und preßte die Handballen gegen die Schläfen, als ließe sich so der Film stoppen, der vor meinem inneren Auge anlief.
    Zu spät.
    Die Kamera folgte ihr den Flur entlang und in das Zimmer. Sie ging auf das Fenster zu, öffnete die Flügel und stieg auf die Fensterbank. Umschnitt.
    Von außen fuhr die Kamera das Gebäude hoch. Zweiter Stock, dritter Stock, stop.
    Sie lehnte bereits aus dem Fenster, ihre langen blonden Haare bewegten sich im Wind.
    Ihr Blick war in die Ferne gerichtet, auf einen Punkt, den nur sie wahrnehmen konnte. Sie war völlig ruhig, gelassen und ohne Furcht. Ich glaube, in der Sekunde, bevor sie sprang, lächelte sie sogar.
    Sie fiel schneller, als die Kamera ihr folgen konnte. Als das Objektiv sie wieder erfaßte, hing sie über dem Zaun, aufgespießt von den schmiedeisernen Dornen. Sie blutete stark, und da sie kopfüber hing, lief Blut in ihr Haar und begann es zu färben.
    »Aufhören!« schrie jemand. »Sofort aufhören!«
    Ich glaubte, der da schrie, war ich selbst. Bevor ich mich vergewissern konnte, verließen mich die Kräfte, und es wurde finster.
    *
    Der Notarzt war eine Ärztin und hatte einen Damenschnäuzer. Dazu roch sie, als hätte sie in Desinfektionsmittel gebadet. Wellen der Übelkeit durchfluteten mich.
    »Offenbar ein unverarbeites traumatisches Erlebnis«, sagte sie zu irgendwem. »Die Spätfolgen eines Schocks. Ich würde ihn gerne zur Beobachtung mitnehmen.«
    »Kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte ich und richtete mich auf. Die zweite Person an Bord war Gina.
    »Sie bleiben liegen«, sagte die Ärztin. »Hier führe ich das Kommando.«
    »Ich bin nicht krankenversichert. Wollen Sie, daß Ihre Klinik auf den Kosten sitzenbleibt?«
    »Wie bitte?« fragte sie in einem Tonfall, als hätte ich mich in der Fußgängerzone entblößt. »Wissen Sie, was dieser Einsatz bereits gekostet hat?«
    »Das mein ich ja. Sie können sich um die Kostendämpfung verdient machen, indem Sie mich gehen lassen.«
    Sie zog mir die Manschette des Blutdruckmeßgerätes vom Arm, klemmte die Infusion ab und verpflasterte die Stelle, wo die Kanüle gesteckt hatte. Wir gaben uns nicht die Hand, und wir sagten uns auch nicht Lebewohl. Wir trennten uns einfach wie zwei Leute, die zufällig an der Supermarktkasse hintereinander gestanden hatten. Gina half mir aus dem Wagen.
    »Jakob und die anderen sind schon vorgefahren«, sagte sie. »Er hat im Café am Salzmarkt einen Tisch reservieren lassen. Wir können aber auch für uns bleiben, und du erzählst mir, was eigentlich mit dir los ist.«
    »Das hat Zeit«, sagte ich. »Lassen wir sie nicht warten.«
    *
    Der Leichenschmaus fand im hinteren der beiden Räume des Cafés statt, wo Tische zusammengestellt worden waren. Als wir hereinkamen, guckten alle, als sei ich der Vetter aus der Klapse. Ich setzte mich neben die Tante von der Waterkant, die sicherheitshalber ein Stück abrückte und ihre Handtasche mit einem Seemannsknoten an der Stuhllehne sicherte.
    Serviert wurden Schnittchen und Kaffee, wahlweise mit oder ohne Koffein, und Tee. Ein vielleicht zehnjähriger Junge, der zu niemandem zu gehören schien, und den ich für einen ausgebufften Schnorrer hielt, trank Limonade und war der einzige, der Torte aß. Da mir noch immer flau war, bestellte ich einen doppelten Asbach.
    Die Tante mußte aufs Klo, und das nutzte Beate, um an meine Seite zu rücken.
    »Geht’s wieder?« fragte sie.
    »Danke«, sagte ich. »Lag wohl am Wetter.«
    »Die Luft ist doch gut.«
    »Zuviel Sauerstoff. Bin ich nicht

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