Rittermord
dem die beiden Kinder bei Kyllburg überfahren worden sind.«
»War er Augenzeuge des Unfalls?« fragte ich.
»Das nicht. Aber er hat sich den Wagen gemerkt, weil der ihn beinahe angefahren hätte.«
»Woher will er denn wissen, daß das der Unfallwagen war?«
»Ei, der Mann war auf der Landstraße von Meisburg nach Steinborn unterwegs, als ihm ein Auto entgegengerast kam. Da hat er gesehen, daß es vorne rechts beschädigt war. Scheinwerfer und Kotflügel waren kaputt. Er konnte sich nur mit einem Satz in den Graben retten, sonst wäre er glatt unter die Räder gekommen. Deshalb hat er sich die Marke und den Typ gemerkt.«
Ein letzter Schluck, und das Glas war leer. Gina bot Nachschub an, aber Frau Kalff winkte ab.
»Zu Fuß und bei dem Wetter war er erst nach einer halben Stunde an der Stelle, wo der Unfall passiert ist. Da waren die Polizei, die Sanitäter und auch der Hubschrauber schon im Einsatz. Weil der Landstreicher aber mit der Polizei nichts zu schaffen haben wollte, hat er sich ohne was zu sagen davongemacht.«
»Hat er sich das Kennzeichen gemerkt?«
»Dafür ging alles viel zu schnell. Der Mann weiß nur, daß es mit EU anfing.«
»Also Euskirchen. Was ist mit dem Wagentyp?«
»Den mußte ich mir aufschreiben«, sagte sie. »Ich kenn mich doch mit Autos nicht aus. Ach, der Zettel ist im Mantel.«
Ich brachte ihr das gute Popeline-Stück. Der Zettel steckte in der rechten Tasche.
»Ein Mercedes Coupé, Modell 600«, las sie vor. »In dunkelblau oder schwarz. Mit Euskirchner Kennzeichen. Die Beamten meinten, wir sollten nicht zu euphorisch sein, aber jetzt bestünde immerhin eine Chance.«
Während Gina Frau Kalff in den Arm nahm und drückte, sah ich aus dem Fenster. Es war mit Sicherheit Zufall, aber ich hatte noch vor wenigen Tagen genau so einen Wagen gesehen. Und ich wußte, wem er gehörte.
Bad Münstereifel
Beate verzog das Gesicht, als hielte ich eine Vogelspinne in der Hand.
»Was ist das?« fragte sie.
»Als ob du das nicht wüßtest«, sagte ich.
»Ein ekeliger Revolver.«
»Falsch. Eine Pistole.«
»Ist das etwa deine Dienstwaffe? Mußtest du die nicht abgeben?«
Ich beförderte die 951er Beretta zurück ins Schulterhalfter. »Die ist Privatbesitz.«
»Hast du denn einen Waffenschein?«
»Deine Neugier geht mir langsam auf den Keks, Fräulein Nelles.«
»Oh, jetzt wird der Herr ganz formell.« Um ihr Mienenspiel hätte sie die Greta Garbo beneidet. »Entschuldigung, aber für mich ist es keineswegs normal, daß man mit solchen Dingern herumläuft.«
»Tröste dich – für mich auch nicht.«
»Dann frage ich mich, warum du sie dabei hast.«
»Reine Gewohnheit«, sagte ich. »Bist du soweit?«
»Sag bloß, du schleppst die Waffe schon die ganze Zeit mit dir rum?«
»Nein, aber im Augenblick halte ich es für angebracht. Wie sieht’s aus?«
Seit geschlagenen fünf Minuten stand Beate vor dem Spiegel und bürstete ihr Haar. Für eine Kurzhaarfrisur war das zweifellos Landesrekord.
»Wenn du die Knarre mitnimmst, bleib ich hier.«
»Was soll das denn heißen?«
»Daß ich nicht mit einem Mann ausgehe, der einen Revolver in der Tasche hat.«
»Ist das dein Ernst?«
»Allerdings.«
»Auch dein letztes Wort?«
»Natürlich.«
»Dann hast du dich umsonst gestriegelt«, sagte ich und gab ihr einen Klaps auf den Hintern, »’nen schönen Abend noch.«
Ihr Wutgebrüll hörte ich die ganze Treppe runter.
*
»Hatten Sie nicht für zwei Personen reservieren lassen?« fragte der Ober.
»Die Dame kommt später«, sagte ich.
Er schritt voran, und ich folgte mit der gebotenen Vorsicht. Ich bin zwar kein Lulatsch, aber auf Pumps hätte ich mit den Deckenbalken Probleme gehabt. Wie gut, daß ich solche Galoschen nicht im Sortiment habe.
Die Einrichtung war erwartungsgemäß rustikal, und sie hätte durchaus gemütlich sein können, wären nicht alle Wände mit dem grinsenden Kuno tapeziert gewesen. Dicht an dicht hingen da Poster, Plakate und Plattencover. Dazu kamen unzählige gerahmte Fotos, die ihn allein oder mit anderen mehr oder weniger Prominenten zeigten. Patrick Lindner und die Hellwigs erkannte ich. Sogar auf der Speisekarte prangte Kunos Konterfei. Der Laden war ein wahrer Wallfahrtsort für Fans.
An den anderen Tischen saßen sie denn auch, die Pilgerinnen und Pilger. Bis auf ein im Partnerlook gekleidetes, verstört wirkendes junges Pärchen waren alle jenseits der sechzig. Ein Damenquartett in der Nähe des Eingangs war besonders gut drauf. Die
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