Riven Rock
Aufstehen ergriff, und dann machte sie ein paar mißbilligende Laute, als wäre er ein ungezogenes Kind oder ein junger Hund, der gerade auf den Teppich gepinkelt hatte. »Hatte ich nicht gesagt, daß ich dich heute abend nicht empfangen kann?« schalt sie ihn und schüttelte mahnend den Zeigefinger, und er hätte sich elend gefühlt, zutiefst verzweifelt, vom rostigen Schwert der Zurückweisung und Erniedrigung durchbohrt, wenn sie nicht dabei gelächelt hätte.
Jetzt. Jetzt ist der Moment gekommen, sagte er sich. »Ich – also – ich war gerade zufällig in der Gegend, und da dachte ich...«
Sie standen beide etwas verlegen vor dem Teetischchen und dem Teller mit den matschigen Sandwiches. Sie runzelte die Stirn. »Zufällig?«
Er lachte – ein nervöses Wiehern war es eigentlich –, und sie fiel in das Lachen ein, ihr Gesicht strahlte warm, und dann saßen sie irgendwie beide auf dem Sofa, Seite an Seite. »Na schön«, sagte er, »ich geb’s zu, ich konnte einfach nicht – also, du weißt schon, was ich meine. Ich hab’s nicht ausgehalten – nicht bei dir zu sein, meine ich.«
Und was sagte sie darauf? »Oh, Stanley« – oder etwas ähnliches. Aber sie lächelte immer noch, zeigte Zähne und Zahnfleisch, und der Glanz in ihren Augen war nicht mißzuverstehen: sie freute sich, daß er gekommen war. Das ließ ihn mutig, ja tollkühn werden, er brodelte in diesem Augenblick, bis er sich fühlte wie ein überkochender Topf, und jetzt war Debs nicht mehr nötig, sein Blick lag in dem ihren, seine Hände spannten und entspannten sich in seinem Schoß, als tasteten sie an einer glatten Felswand nach Halt, in seiner Kehle stieg der Geschmack nach schalem Tee auf. »Hör mal, Katherine«, sagte er, »ich wollte dir, äh, etwas sagen, ich meine, ich denke schon den ganzen Tag darüber nach, und ich, ich...«
Dieses Lächeln. Sie beugte sich vor und schob eines der Sandwiches herum, dann hob sie es zum Mund und biß ein Stück ab, trennte einen sauberen Halbkreis heraus. »Ja?«
»Also, laß mich – laß es mich so sagen. Was wäre, wenn ein Mann, ein junger Mann aus guter Familie und mit lauteren Absichten, aber in den Augen einer Frau nicht der Beachtung wert, also, einer hypothetischen Frau so ähnlich wie, äh, wie du... und er würde wirklich... aber er hätte noch nichts erreicht im Leben, er wäre einNichts, ein unnützes Leichtgewicht von einem hypothetischen Mann, nicht wert, dieser hypothetischen Frau auch nur den Rocksaum zu küssen, aber er, er...«
Sie begriff allmählich, worauf er hinsteuerte oder vielmehr hinstolperte, und sie bemühte sich um eine gefaßte Miene, aber das gelang ihr nicht – sie erinnerte frappierend an eine Frau, die in einer führerlosen Kutsche einem Zusammenprall entgegenrast, ihr Lächeln war verschwunden, die Hand mit dem Sandwich in der Bewegung erstarrt, in ihren Augen Schock und Angst, aber Stanley war entschlossen, er stürmte voran, und nichts konnte ihn aufhalten. »Stanley«, sagte sie, und die Stimme blieb ihr irgendwo tief in der Kehle stecken, »Stanley, es ist spät...«
Er achtete nicht darauf, hörte sie gar nicht. »Sieh mal, dieser Mann, dieser hypothetische Mann, steht so tief unter ihr, daß er niemals wagen würde, sich auch nur der leisesten Hoffnung hinzugeben, daß sie ihn, äh, also... heiraten würde, nehme ich an, aber falls er sie doch fragen sollte, dieser hypothetische, aber völlig wertlose Mann, der in seinem ganzen Leben noch nichts zustande gebracht hat, würde sie – würdest du... ich meine, unter den Umständen...«
Sie hatte eine tiefe Furche zwischen den Brauen, und weshalb war ihm das noch nie aufgefallen? Sie war jetzt nicht mehr verängstigt, sondern vielmehr ratlos – oder gequält. »Stanley, bittest du mich um das, worum ich glaube, daß du mich bittest?«
Er atmete tief ein. Sein Herz pochte wie eine Trommel. »Ich wollte nur, also, nur deine Meinung wissen, weil mir viel daran liegt, wirklich...«
»Bittest du mich, deine...«
Er konnte ihr nicht in die Augen sehen. Sämtliche Trommeln der Mohawk-Indianer donnerten in seinen Ohren. Ba-dumm-ba-dumm-ba-dumm-ba-dumm. »Ja.«
»Aber wir haben uns doch eben erst kennengelernt – du weißt ja nichts über mich. Du machst einen Scherz, oder? Sag mir, daß es ein Scherz ist, Stanley, sag es mir...«
Der Regen, die Uhr, das Hufgetrappel, die Trommeln. Er blickte auf, kummervoll wie ein geschlagener Hund. »Nein«, sagte er, »es ist kein Scherz.«
4
Ein Schlitz reicht
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