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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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nichts an den Ohren habe – oder vielleicht doch, ha! sollte sie besser mal untersuchen lassen –, also wenn Sie ›wie ein Hund‹ gesagt haben, dann wäre ich äußerst neugierig, warum Sie sich so fühlen, schlicht und einfach aus dem Grund, daß es ein höchst außergewöhnlicher Vergleich ist, und ich bin sicher, daß auch Mr. Thompson und Mr. O’Kane an Ihrem Gedankengang interessiert sind. Stimmt’s, Männer?«
    Mart grunzte, und es war schwer zu entscheiden, ob es ein zustimmendes oder ablehnendes Grunzen war.
    O’Kane nickte kurz. »Ja«, sagte er, »sicher doch.«
    »Haben Sie gehört, Mr. McCormick? Auch Ihre Freunde möchten gerne wissen, was Sie zu diesem Thema zu sagen haben. Ja? Mr. McCormick?«
    Und immer noch nichts. O’Kane überlegte, ob Mr. McCormick die Frage überhaupt gehört hatte oder ob sein Verstand bereits wieder eingeschlossen war, unzugänglich wie ein Nagetier, das sich tief in seinem Bau verkrochen hatte. Wenigstens wurde er nicht gewalttätig. Noch nicht jedenfalls.
    Der Arzt zog eine Zigarre aus der Innentasche seiner Jacke und nahm sich die Zeit, sie anzuzünden. Er zog daran, stieß eine Rauchwolke aus und musterte den Patienten mit scharfsinnigem Blick, der jedoch an Mr. McCormick leider verschwendet war, da dieser weiter zum Himmel hinaufstarrte, als wäre er Percival Lowell und forschte nach Anzeichen von Leben auf dem Mars. »Vielleicht fühlen Sie sich hier eingesperrt, ist das so, Mr. McCormick?« begann Dr. Brush. »Wollen Sie das damit ausdrücken – daß Sie lieber mehr Freiheiten hätten? Dafür ließe sich durchaus sorgen – mehr Ausfahrten, mehr Spaziergänge außerhalb des Grundstücks, wenn Sie das gerne möchten. Möchten Sie das? Haben Sie es so gemeint?«
    Nach einer Pause von mindestens fünf oder sechs Minuten änderte Dr. Brush seine Strategie. »Erzählen Sie mir von Ihrem Vater, Mr. McCormick«, sagte er, wobei er sich vorbeugte und zu Mr. McCormicks langem blassen Hals und der Unterseite seines Kinns sprach. »Das war ein großer Mann, wie ich höre... Haben Sie ihn sehr geliebt?«
    Eine Möwe kreiste über ihnen. Es war sehr still. Irgendwo weiter unten, in Richtung der Hütten, sang jemand auf italienisch, ein monotoner Klang, der wie ein Pendel hin und her schwang.
    »Haben Sie... haben Sie je das Gefühl gehabt, ihn zu hassen? Oder einen Groll gegen ihn gehegt? Vielleicht hat er Sie, als Sie ein kleiner Junge waren, oft bestraft oder womöglich gar geschlagen – ist so etwas jemals passiert?«
    O’Kane wurde sich des Laufs der Sonne bewußt, da der scharf umrissene schräge Schatten neben ihm unerbittlich näher kroch. Er versuchte, die Worte des Liedes zu hören, obwohl er sie ohnehin nicht verstehen würde, und bemühte sich, nicht an Giovannella zu denken. Mr. McCormick, der ein Meister der Reglosigkeit war – er hätte ein ideales Modell für einen Bildhauer abgegeben –, rührte sich nicht. Er schien nicht einmal zu atmen.
    »So«, sagte der Doktor nach einer Weile, stand umständlich auf, paffte an seiner Zigarre und begann wieder auf und ab zu gehen, von Fliese zu Fliese. »Soso.« Er stellte sich wieder hinter Mr. McCormick und schob sein Gesicht erneut in dessen Gesichtsfeld. »Und Ihre Mutter«, setzte er fort, »was ist sie für eine Frau?«
    Der zweite Ansatz, den Dr. Brush versuchte, hatte mit gewissen kleineren Verfeinerungen des täglichen Ablaufs zu tun, die er der Effizienz halber vornahm. Anfangen wollte er mit Mr. McCormicks Duschgewohnheiten. »Eddie«, nahm er O’Kane eines Abends nach Schichtende beiseite, »wissen Sie, ich habe über Mr. McCormicks Tagesablauf nachgedacht und wie er seine Ressourcen dabei verschwendet, und schlicht und einfach aus diesem Grund finde ich, wir könnten die Dinge etwas rationeller gestalten. Ihn ein bißchen aufrütteln, wissen Sie. Es ist doch immer dasselbe, tagaus, tagein. Der gute Mann muß sich ja längst zu Tode langweilen.«
    O’Kane, der trotz des Wechsels an der Spitze Oberpfleger geblieben war und außerdem eine Gehaltserhöhung von fünf Dollar pro Woche erhalten hatte, seit Dr. Brush da war, hielt es für zweckmäßig, sich betroffen zu zeigen, auch wenn er an dem bestehenden Ablauf überhaupt nichts auszusetzen fand. Es war nicht der Zeitplan, der Mr. McCormick einschränkte, auch nicht ein Mangel an geistiger Anregung – sondern der Mangel an Frauen. Der sollte sich ein paarmal flachlegen lassen, dann würde man ja sehen, was geschah – viel schlimmer als jetzt konnte es

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