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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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mitgebracht hatte. Es war ein Film mit Lillian Gish, und Mr. McCormick, der keine Frauen in Fleisch und Blut sehen durfte, genoß die Gelegenheit außerordentlich, diese Wesen auf der schimmernden flachen Leinwand des Lichtspieltheaters zum Leben erwachen zu sehen. Mehr als einmal mußte er daran gehindert werden, sein Geschlechtsteil zu entblößen, wenn im Film Pearl White an einem Felsvorsprung baumelte oder Mary Pickford den Rock lüpfte, um vom Trittbrett eines Automobils zu steigen, dennoch meinten die Ärzte, die von den Filmen gebotene geistige Anregung sei wichtiger als kleine Unannehmlichkeiten, wie sie die Abbildung weiblicher Wesen – ob in Not oder sonstwie – mit sich bringe. O’Kane war da nicht so sicher. Schließlich war er es, der mitten in der Vorführung beim flackernden Licht dem heftig keuchenden Mr. McCormick das Glied wieder in der Hose verstauen mußte, was für Mr. McCormick nur demütigend sein konnte – und für O’Kane war es auch keine reine Freude. Nein, ständig diese geschminkten Frauen mit den Wimpern klimpern und ihre Dekolletés und alles übrige in die Kamera schwenken zu sehen, das mußte den armen Mann ja nur noch mehr quälen. Jeder wäre verrückt geworden in seiner Lage, und des öfteren fragte sich O’Kane, ob sie nicht einmal im Monat eine Prostituierte engagieren sollten, damit Mr. McCormick – der freilich fachgerecht gefesselt sein müßte – seinen natürlichen Trieben frönen konnte wie jeder andere Mann, aber das wäre wohl keine psychologische Vorgehensweise gewesen, oder?
    Jedenfalls tauchte Dr. Brush an diesem Morgen auf, nachdem O’Kane und Mart Mr. McCormick auf die Sonnenveranda hinausgebracht hatten, und er schien entschlossen, die Redekur einmal auszuprobieren. »Mr. McCormick!« Noch während er durch die Tür polterte, posaunte er fröhlich und leutselig einen Gruß hinaus: »Und wie fühlen Sie sich an diesem wunderschönen Tag?«
    Mr. McCormick saß in einem Korbsessel, die Füße auf das Korbsofa gelegt, die Hände hinter dem Nacken verschränkt, und starrte in den wolkenlosen Himmel. Wie immer war er gekleidet, als wäre er auf dem Weg zu seinem Büro in der Mähmaschinenfabrik: grauer Sommeranzug mit Weste, steifer Kragen und Krawatte. Weder reagierte er auf die Begrüßung, noch nahm er die Anwesenheit des Arztes anderweitig zur Kenntnis.
    Unbeeindruckt stampfte Dr. Brush über die Fliesen, baute sich unmittelbar hinter Mr. McCormick auf und beugte sich dann vor, womit er den massigen, schwitzenden Zeppelin seines Gesichts in Mr. McCormicks Gesichtsfeld manövrierte.
    »Also wirklich«, dröhnte Dr. Brush. »Haben Sie nicht ein Riesenglück, daß hier das liebe lange Jahr hindurch so ein Prachtwetter ist? Besonders angenehm muß das im Winter sein, schlicht und einfach aus dem Grund, daß man Eis und Schnee ganz vergessen kann, aber auch im Sommer – können Sie sich vorstellen, wie die Leute drüben an der Ostküste unter der schwülen Hitze leiden... und hier ist es immer herrlich. Was meinen Sie, wie warm es ist, Mr. McCormick – einundzwanzig Grad? Zweiundzwanzig vielleicht? Na?«
    Keine Antwort.
    »Allerdings«, schloß der Doktor mit einem gekünstelten Seufzer, »Sie haben wirklich Glück.«
    In diesem Moment sprach Mr. McCormick zum erstenmal, seit sie ihn auf die Veranda hinausgebracht hatten. Er hielt immer noch den Kopf nach hinten gelegt und sah Dr. Brush auf dem Kopf stehend vor sich, was ein seltsames Bild sein mußte, obwohl es ihn nicht zu stören schien. »Glück?« fragte er mit einem kaum hörbaren Krächzton. »Ich-ich habe ebenso viel Glück wie ein Hund.«
    »Ein Hund?« Jetzt geriet der Doktor in einen Zustand höchster Erregung, er flitzte mit hektischen Schritten seiner zu kleinen Füße auf der Veranda herum, bis er sich schließlich in den Sessel gegenüber von Mr. McCormick quetschte. »Und warum sagen Sie das, Mr. McCormick? Ein Hund? Wirklich. Wie ungewöhnlich.«
    Mart, der an der Wand gleich links von der Tür lehnte, ließ laut seine Knöchel knacken. O’Kane war im Schatten am anderen Ende der Veranda auf und ab gegangen, blieb jetzt aber stehen, suchte eine bequeme Stelle in der Ecke und lehnte sich an, um zuzuhören. Mr. McCormick starrte immer noch zum Himmel empor und sagte nichts.
    »Ein Hund?« wiederholte Dr. Brush. »Habe ich Sie da recht verstanden, Mr. McCormick? Sie sagten doch, ›wie ein Hund‹, oder?«
    Immer noch nichts.
    »Denn wenn Sie das gesagt haben, und ich bin überzeugt, daß ich

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