Riven Rock
der ihn erschauern ließ vor der Heftigkeit seiner Sehnsucht und der Nacktheit seines Verlangens.
»Hast du dich erkältet?« fragte sie und musterte ihn mit einem prüfenden Blick der eisblauen Augen.
»Nein«, sagte er.
»Und du ißt ja gar nichts – erzähl mir ja nicht, daß du nach diesem Spiel keinen Hunger hast.«
Dies war der Moment, in dem er ihr sein Gefühl hätte eingestehen sollen, der Moment für süßes Geflüster, verliebtes Geplänkel, der Moment, um zu sagen: Wie soll denn Essen meinen Hunger stillen, wenn ich deinen Anblick kosten darf? Aber er sagte es nicht, er konnte nicht, und er spielte eine Weile mit seiner Gabel herum, ehe er den Blick zu ihr hob. »Wenn die Massen genug auf ihren Tellern haben«, sagte er, »wenn die Mietskasernen abgerissen und an ihrer Statt anständige Wohnungen errichtet worden sind und wenn auf jedem Tisch eine Lammkeule mit Minzsauce liegt, dann werde ich essen.«
Zwei Tage später reiste Katherine ab. Ihre Ferien waren vorbei, das neue Semester fing an, ihre Doktorarbeit winkte. Ehe sie fuhr, schenkte sie ihm eine blaue Frackschleife und eine Schachtel Bonbons aus Ahornsirup in der Form von Eichhörnchen, Kaninchen und Scotchterriern, und er gab ihr ein Exemplar von Debs’ Pamphlet sowie eine Erstausgabe von Frank Norris’ Roman The Pit . Er bat sie zu bleiben, warf sich ihr zu Füßen, stieß lange Ansprachen über die Bedingungen in den Textilfabriken, die Arbeitersiedlungen und die Armut unter den Einwanderern hervor, doch von Liebe sprach er nie – das lag nicht in seiner Macht –, und sie mußte weg, das verstand er schon. Dennoch war er am Boden zerstört, und kaum hatte sie ihren Zug bestiegen, fuhr er ihr mit dem Mercedes nach Boston hinterher. Er packte hastig, ohne jene Unentschlossenheit, die ihn in den vergangenen Jahren behindert hatte, und er nahm Morris Johnston mit, sowohl als mitfühlenden Zuhörer, dem er seine Lobreden auf Katherine halten konnte, als auch zur Vorbeugung gegen eventuelle subversive Waschraumspiegel, die sich ihm wie Windmühlen in den Weg stellen mochten.
Nach der Ankunft stieg er in einem Hotel in der Nähe des Hauses von Katherines Mutter in der Commonwealth Avenue ab und begann seine Belagerung. Er schickte ihr täglich Blumen, ganze Gewächshäuser davon, und er sprach jeden Abend um Punkt sieben vor, mit schwitzenden Handflächen, pochendem Herzen, unsicherem Blick. Das Dienstmädchen begrüßte ihn mit sentimentalem Lächeln, und Mrs. Dexter, Katherines Mutter, plapperte beschwingt drauflos und fütterte ihn mit endlosen Portionen von Pralinen, Sandwiches, Obst, Nüssen und Getränken, während er verlegen im Salon saß und an Katherine dachte, die sich in den empyreischen Gefilden weiter oben ankleidete. Ob Mr. McCormick eigentlich zu schätzen wisse, wie klug ihre Tochter sei? fragte ihn Mrs. Dexter. Zu Anfang habe sie ja versucht, ihr diesen wissenschaftlichen Kram auszureden, Gott war ihr Zeuge, denn die Wissenschaft sei einfach kein Gebiet für Damen, jedenfalls sei es bis jetzt so gewesen, bis sich dann Katherine mit ihrem scharfen Verstand und der beharrlichen Art darauf gestürzt habe, und nun müsse sie selbst zugeben, daß ihre Tochter sie nicht hätte stolzer machen können – ob er wohl noch ein Stück Konfekt kosten wolle?
Und Katherine. Sie war empfänglich, sehr freundlich und ermutigend, sie war musterhaft, vor allem während seiner ersten Besuche, und das ließ ihn auf den Schwingen eines Hochgefühls dahingleiten, wie er es nie gekannt hatte, doch gegen Ende der Woche begann sie, sich wegen ihres Studiums zu entschuldigen, und so verbrachte er auf einmal mehr und mehr Zeit mit Mrs. Dexter, auf einem Knie die Teetasse, auf dem anderen einen Teller mit Sandwiches balancierend. Ihr Studium war wichtig, natürlich – sie war eine scharfsinnige, intellektuelle junge Frau, die acht Jahre lang auf dieses Examen hingearbeitet hatte –, trotzdem stürzte es ihn in eine Panik. Und wenn sie nun ihr Studium nur als Ausrede verwendete, um ihn abends rasch loszuwerden, damit sie um neun oder zehn noch einmal hinaushuschen und mit Butler Ames tändeln konnte, den er bereits zweimal auf der Schwelle ihres Hauses angetroffen hatte? Er war außer sich. Konnte nichts essen. Konnte nicht schlafen. Und er wagte nicht mehr, in den Spiegel zu blicken.
Doch am Freitag willigte sie ein, mit ihm zu Abend zu essen und ins Theater zu gehen, und er lud sie und ihre Mutter in den Speisesaal seines Hotels und danach zu
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