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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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und Bibelfanatikerinnen brachte die Regierung das Volstead-Gesetz durchs Parlament, das »Herstellung, Verkauf und Beförderung von berauschenden Spirituosen« verbot, und noch bevor die Frauen das Wahlrecht erhielten (ein Vorhaben, das O’Kane von vornherein mit Skepsis betrachtet hatte), wurde ihm das gottgegebene Recht verwehrt, sich besinnungslos zu besaufen – selbst in der Intimität seines eigenen kargen Zimmers. Der 18. Januar 1920: dies war der Tag der Niedertracht. Der Jüngste Tag. Jener Tag, an dem ihm das letzte Quentchen Freude im Leben geraubt wurde. Entsetzt und ungläubig sah er zu, wie man in den Kneipen von Spanishtown die Türen vernagelte und der Verein christlicher Abstinenzlerinnen durch die Straßen paradierte und guten Whiskey in den Rinnstein schüttete. Menhoff hatte noch geöffnet, aber nur als Restaurant, und Cody servierte einem zum Steak sogar ein Bier, falls man dumm genug war, eins zu bestellen – es war Brausebier, mit 0,5 Prozent Alkohol: weniger als ein Bottich Sauerkraut enthielt.
    Sicher, O’Kane hatte einen Vorrat angelegt: sechs Kästen Bier und zwei mit Roggenwhiskey standen unter seinem Bett, im Kleiderschrank lagen etliche Flaschen Bourbon verborgen, außerdem zehn Halbliterpullen mit Schlehengin in dem Überseekoffer, der auf Mrs. Fitzmaurice’ Dachboden lagerte – er hatte sogar ein halbes Dutzend bauchige Weinflaschen hinter dem vorderen Tor von Riven Rock vergraben –, aber die Geselligkeit der Saloons fehlte ihm doch sehr. Was tat es schon, daß er die Hälfte seines Erwachsenenlebens mit dem Anhören diverser, von dem einen oder anderen Schwachkopf geäußerten Standpunkte über Gott, die Unsterblichkeit und die Getriebe von Ford-Automobilen verbracht hatte? Was gab es denn sonst zu tun? Er versuchte es mit Lesen. Er kaufte sich ein Victrola-Grammophon. Der Regen trommelte an die Scheiben, und jeder Tag brachte neue Nachrichten über irgendeinen Narren, der blind und taub geworden war, weil er Frostschutzmittel oder Wundbenzin gesoffen hatte – und wie war das mit dem Feuerwehrmann in Pennsylvania, der alles Haarwasser mit Fliederduft aufgekauft hatte und dann in einem Meer seiner eigenen Kotze erstickt war? O’Kane arbeitete sich unbeirrt durch seine Bestände, meistens allein, manchmal aber auch in Gesellschaft von Mart, Pat oder einer der verlorenen Seelen, die immer im vorderen Schankraum bei Menhoff gesessen hatten, und während sich die Flaschen allmählich leerten, fühlte er sich wie ein Todeskandidat, der die Tage bis zur Hinrichtung zählt.
    In dieses Tal der Tränen trat Jim Isringhausen.
    Jim kam im Februar nach Kalifornien, um das Haus seines Bruders zu lüften und sich fünfhundert Hektar erstklassiges, flaches, gut bewässertes Land für Zitrusfrüchte bei Goleta unter den Nagel zu reißen, sieben Kilometer nördlich von Santa Barbara. Die Nachfrage war stark gestiegen, seit der Krieg zu Ende war und die Leute an der Ostküste geradezu verrückt waren nach Apfelsinen, Zitronen, Mandarinen, Limetten, Pampelmusen, Kumquats, und was sie aus Florida bekamen, stellte nur einen Tropfen auf den heißen Stein dar im Vergleich zu dem, was Kalifornien produzieren konnte. Und jetzt war der Moment, sich in dieses Geschäft zu stürzen, bevor jeder Gebrauchtwagenhändler und Limonadenzapfer mit ein paar hundert Dollar in der Tasche Wind davon kriegte, gar nicht zu reden von den Großkonzernen. Und als ersten fragte er O’Kane, denn O’Kane hatte von Anfang mit dabeisein wollen und geduldig gewartet, seit zwei Jahren harrte er nun schon aus, während Jim sein Kapital konsolidiert und die Investoren zusammengesucht hatte, und das wußte Jim zu schätzen, wirklich.
    All das erzählte er O’Kane auf der Fahrt zu dem Grundstück, das sie inspizieren wollten. Es war ein Tag von biblischer Pracht: der Ozean brandete, die Berge ragten auf wie geschnitzt, die Sonne stand am blaugeäderten Himmel wie eine große Valencia-Orange. Jim sah gut aus. Er trug ein kariertes Sportjackett und eine Hose aus weißem Segeltuch, Galoschen über den Schuhen, das Haar war mit französischer Pomade festgeklatscht und sein Schnurrbart so dünn und fein, daß er fast gar nicht auffiel. Er fuhr einen neuen Wagen, einen gelben Mercer-Roadster mit blutroten Speichenrädern und herunterklappbarem Leinwandverdeck. Jim Isringhausen reichte O’Kane einen silbernen Flachmann, und O’Kane nahm einen tiefen Schluck Ambrosia – schottischer Whiskey, der wahre Jakob, rauchig und torfig und

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