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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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das Blöken von Schafen, alles in einem Schluck, ein Whiskey, wie man ihn nicht mehr fand und womöglich nie wieder finden würde.
    »Also was sagtest du, wieviel kannst du anlegen?« fragte Jim, während er die Flasche behutsam O’Kanes widerstrebenden Fingern entwand und an die eigenen Lippen führte. »Dreitausend?«
    Der Wind peitschte O’Kanes Haar, die Sonne wärmte ihm das Gesicht. Er kniff die Augen zusammen und spürte, wie neue Hoffnung in ihm aufstieg, ein Hauch davon jedenfalls. »Gerade mal so. Zwei-neun und noch ein bißchen.«
    Jim drehte sich mit der Flasche zu ihm herum. Auf seinem Gesicht lag der Ausdruck eines Pfarrers, ganz Mitgefühl und Anteilnahme. »Das sind doch nicht deine gesamten Ersparnisse, oder? Ich möchte dich wirklich nicht unter Druck setzen – ich meine, die Sache ist so sicher wie irgendwas, was du auf dieser schönen Welt finden wirst, aber hundertprozentig ist überhaupt nichts, das weißt du doch?«
    O’Kane zuckte die Achseln. Er hob die Flasche zum Mund, lässig wie ein Millionär. »Nein«, log er, »hab noch was in petto.«
    Er war kein Dummkopf. Er wußte, was Jim ihm sagen wollte: es war ein Risiko dabei. Aber Risiko gab es immer: ob man über die Straße ging, zu Mittag aß oder am Samstagabend einer Frau tief in die Augen sah. Das hier war seine Gelegenheit, und er würde sie ergreifen – jetzt brauchte er nur noch eine Reihe von Orangenbäumen zu sehen, und er wäre dabei.
    »Na schön«, sagte Jim, »sagen wir also dreitausend – du solltest es bis nächsten Dienstag aufrunden können, weil dann nämlich das Geschäft über die Bühne geht. Bei vierzig Dollar pro Hektar müssen wir zwanzigtausend aufbringen, keine Hypotheken, Barzahlung bei Vertragsabschluß, und noch einen Tausender in Reserve, um ein paar Itaker anzuheuern, die uns die Bäume wässern und später das Obst pflücken. Für dreitausend kriegst du dreißig Anteile zu hundert pro Stück. Klingt gut, Partner?«
    »Sicher«, sagte O’Kane.
    Jim legte beide Hände ans Lenkrad, als sie etwas zu schnell durch eine Kurve fuhren, die sich in die falsche Richtung neigte; der Wind schüttelte den Wagen, und es folgte ein wohliger Ruck, als Jim hinunterschaltete und auf der Geraden Vollgas gab, die sich plötzlich vor ihnen öffnete. »Übrigens«, sagte er, »Dolores läßt dich herzlich grüßen.«
    O’Kane ließ diese Information einsickern, als er die Flasche wieder in der Hand hielt. Sie bogen gerade von der befestigten Straße auf einen gewundenen Schotterweg ab, über dem die Luft von Staub und Insekten und herumfliegenden Pollen waberte. Dolores läßt dich herzlich grüßen . Na fein – O’Kane hatte sie zwei Jahre lang weder gesehen noch gesprochen, seit ihr Mann aus dem Krieg zurück war. Einmal hatte er Jim nach ihr gefragt, in möglichst nebensächlichem Tonfall, und Jim hatte ihm erzählt, die beiden seien drüben in Europa, irgendwo in Italien, wo sie eine Villa renovieren ließen – nicht daß O’Kane sich einen Pfifferling darum geschert hätte. Für ihn gehörten Frauen der Vergangenheit an. Er hatte es aufgegeben. Nach Rosaleen und dem armen Eddie jr. – und nach Giovannella.
    Auch sie hatte er nicht wiedergesehen, die Witwe Capolupo. Angeblich war sie wieder zu ihren Eltern gezogen, mit dem Kind eines Toten unter dem Herzen – jedenfalls behauptete sie das. Und er hatte nicht gehört, ob sie nun ein Spaghettibaby bekommen hatte oder ein halbes, und es war ihm auch egal, inzwischen jedenfalls. Wenn es ihm gelänge, hier sein Glück zu machen, mit Orangen, sich von den McCormicks zu befreien und irgendwo neu anzufangen – in San Francisco vielleicht oder in Los Angeles –, ja, dann würde er möglicherweise auch daran denken, sich ein hübsches Mädchen um die Zwanzig zu suchen, die ein wenig Grazie und Stil besaß, damit er in seinen Vierzigern etwas zum Vorzeigen hatte. Aber im Augenblick konnte er solche Komplikationen nicht gebrauchen. Und den Schmerz auch nicht.
    Der Wagen nahm eine Kurve, und mit einem Mal waren sie im Orangenland, fuhren an den Baumreihen entlang, mit ihrem kupfergrün glänzenden Laub und den Orangen, die fett und süß an jedem einzelnen hingen, als wäre Weihnachten, endlose Weihnachten, und jeder Baum extra für sie geschmückt. Jim bremste am Ende einer der langen Reihen, wo der Hain plötzlich aufhörte und offenes Land begann: gelb blühender Senf, der einem bis an die Achseln reichte, pelzige blaue Blumen, die sich durch das Unkraut kämpften, und

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