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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ein Gewirr von allen möglichen Pflanzen, die da aus der Erde schossen – nur keine Orangen. »Na?« fragte Jim und streckte die Arme aus, »was meinst du dazu?«
    O’Kane sah über die Schulter auf die Reihen unerschütterlicher Bäume und dann wieder über das leere Feld. Jims weiße Hose hatte gelbe Schmutzflecken. Überall erhoben sich die Baue von Taschenratten, wenigstens wußte O’Kane jetzt, was diese Hügel waren. »Keine Ahnung«, sagte er. »Was soll ich denn meinen?«
    »Ich weiß, man kann es sich schwer vorstellen«, sagte Jim und stapfte in das Gestrüpp hinein, »aber sobald wir hier ein bißchen gejätet und uns um die Bäume gekümmert haben...«
    »Welche Bäume? Du meinst« – eine Geste auf den Hain hinter ihnen – »das sind nicht die Bäume?«
    Jim Isringhausen bückte sich über etwas im hohen Gras. »Hier, sieh mal«, sagte er.
    O’Kane sah einen Schößling, der nicht dicker war als sein Finger, gut einen Meter hoch, mit ein bißchen Laub daran. Und dann sah er auch die übrigen: winzige, verkümmerte Fähnchen aus kupfergrünen Blättern, die da und dort aus dem Unkrautdickicht hervorragten. »Das soll ein Orangenbaum sein?«
    Noch während er fragte, wurde ihm klar, wie flüchtig das Glück eines Menschen sein konnte.
    Jim Isringhausen hatte sich aufgerichtet und rieb die Erde von seinen gespreizten Händen. »Jo«, sagte er, »ganz genau. Und eh du dich nur umschauen kannst, werden diese kleinen Schätzchen hier ebenso viele Früchte tragen wie ihre großen Schwestern da hinten.«
    O’Kane starrte die Stelle an, wo Jim etwas Unkraut ausgerupft hatte und dieser mickrige Blätterstengel in der Erde steckte wie ein aus dem Himmel abgeschossener Pfeil. Dann blickte er wieder über die Schulter, auf das dichte, satte Grün der Bäume und die Orangen, die dort zahllos im Gitterwerk der ineinander verschränkten Äste hingen, so weit das Auge reichte. »Wird aber eine Weile dauern«, sagte er schließlich.
    Jim stritt das nicht ab. »Ja«, meinte er und rieb den Absatz seines hellbraun schimmernden Schuhs am Trittbrett, um einen Erdklumpen abzustreifen. »Aber nicht so lange, wie du denkst.«
    Danach ging es abwärts, in einem langen, stetigen Gleiten, das so unmerklich verlief, daß O’Kane es gar nicht recht wahrnahm, anfangs jedenfalls nicht. Es war, als befände sich alles in seinem Gesichtsfeld – Mr. McCormick, Dr. Brush, Riven Rock, Mrs. Fitzmaurice, das Whiskey- und Bierversteck, Mart und Pat und die aufgelaufene Last all dieser gesparten und verdienten Dollars – auf einer schiefen Ebene, die mit jedem Tag steiler wurde. O’Kane gab Jim Isringhausen seine gesamten Ersparnisse – und überredete Mart, auch noch hundert Dollar und ein paar zerquetschte dazuzulegen, damit die Investition auf runde drei Tausender kam. Er hatte auf diesem überwucherten Feld gestanden, die kläglichen Pflänzchen betrachtet und alles vor sich gesehen: wie die Taschenratten die Wurzeln zernagten, wie der Brunnen austrocknete und wie Jim Isringhausen in seiner eleganten Stadtvilla in New York thronen würde wie J. Pierpont Morgan, während sogar das Unkraut verwelken und vertrocknen und zu Staub zerfallen würde und die Orangenbäume so kahl und tot unter der Sommersonne lägen wie die körnige gelbe Erde selbst. Aber es kümmerte ihn nicht. Es war eine Chance, immerhin. Eine ziemlich aussichtslose vielleicht, aber er hatte die Warterei satt, fühlte sich wie ausgezehrt davon, erschöpft und erledigt, aber auch tollkühn, wahnsinnig, und er kochte vor Selbsthaß und der schwärzesten Variante fatalistischer Verzweiflung: wirf eine Münze in den Ozean und schau zu, ob er Wellen schlägt.
    Er trank das Bier und den Whiskey, und als der Vorrat zu Ende war, trank er den Bourbon. Morgens war ihm übel, und bis in den Nachmittag hinein hatte er eine trockene Kehle, verstopfte Stirnhöhlen und einen Brummschädel. Dann trank er den Gin, und der schmeckte irgendwie nach flüssigem Zahnpulver, schließlich buddelte er den Wein aus und trank auch den. Inzwischen waren Schnapsschmuggler in der Stadt, wieselgesichtige Desperados, die Tequila, Mescal und Pedro-Domecq-Brandy aus Mexiko heraufkarrten, aber sie wollten acht Dollar die Flasche, neun, zehn sogar, und was die heimischen Schwarzbrenner draußen in den Cañons zusammenbrauten, kostete nur ein Viertel davon, selbst wenn es völlig ungenießbar war. Was sie Whiskey nannten, war reiner Äthylalkohol, mit Leitungswasser verdünnt, mit Karamel gefärbt und

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