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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Sachen – Schürze, Kleid, Strümpfe, Schuhe, alles miteinander – dampften und waren klatschnaß von etwas, das er zunächst für Blut hielt. Ihm blieb das Herz stehen. Sie saß mit gekreuzten Beinen da, blickte zu ihm hoch, und ihre Kleider waren nicht mit Blut getränkt, wie er jetzt sah – und roch, jetzt roch er es auch –, sondern mit Tomatensauce, und alle ihre Gefühle waren in ihrem Blick konzentriert. »Eddie«, sagte sie. Nur das: »Eddie.«
    Er trug kein Hemd, sein Oberkörper und die Arme waren verdreckt, über seiner linken Brustwarze prangte eine Blutkruste wie ein Sheriffstern; sie saß zusammengekauert im Schrank, feucht und duftend wie ein Fleischklößchen. Schon dreimal hatte sie die Küche aufgeräumt, sie hatte geputzt wie eine Sklavin, wie eine Wahnsinnige, und dreimal hatten die Nachbeben wieder alles umgeworfen, darunter auch den großen Topf mit Pastasauce, den sie für das ganze Haus gekocht hatte, denn es gab ja nichts zu essen, überhaupt nichts – und die armen Menschen draußen in den Hütten mit ihren demolierten Herden und den zerstörten Eisschränken, was sollten sie denn tun? Er begriff all das im Nu, und falls er noch Details brauchte, um das Bild zu vervollständigen, so sollte er sie später bekommen, als die Nacht hereingebrochen war und außer ein paar Petroleumlampen kein Licht mehr brannte, nachdem Mr. McCormick ins Theatergebäude umgezogen war und alle Angestellten mit Sandwiches und frisch gepreßtem Orangensaft versorgt waren. Dann führte er sie ins Innere des großen leeren Steinhauses und fand ein Bett, in das er sich mit ihr legte, bis es wieder hell wurde, und wollte nie wieder aufstehen.
    Was Mr. McCormick anging, so gewöhnte er sich (nach einer kurzen, aber heftigen Phase der Anpassung) recht schnell an das Theatergebäude, während im Haupthaus die Reparaturen ausgeführt wurden, doch schien ihn jeder Lebensgeist verlassen zu haben, als die Erde zu beben aufhörte. Es geschah nichts Neues mehr, überhaupt nichts, und so sank er zurück in den hoffnungslosen Morast seines lahmgelegten Verstandes, und als Dr. Kempf zu seiner Erlösung eintraf, war er so weit regrediert, daß O’Kane und Mart ihn jeden Morgen in die Dusche schleifen, danach die schlaffe Last seiner Glieder in die Kleider zwängen und ihn am Tisch mit dem Löffel füttern mußten. Und das war wirklich kein Vergnügen.
    Dr. Kempf überstürzte die Dinge nicht gleich, wie Brush es getan hatte, weder quasselte er viel herum noch warf er Mr. McCormick zu Boden – noch besser: er war kein Kraut, hatte nicht einmal einen Bart. Als er im Herbst 1926 Dr. Brush ablöste, war er einundvierzig, der Verfasser zweier Bücher ( Die autonomen Funktionen und die Persönlichkeit , 1918, und Psychopathologie , 1920) sowie zahlloser wissenschaftlicher Abhandlungen, und er war zuletzt im Saint Elizabeth’s Hospital in Washington/D.C. als klinischer Psychiater angestellt gewesen, bevor er in New York seine eigene Praxis eröffnet hatte. Er war mittelgroß, weder dick noch dünn, sein spärliches Haupthaar war so stark mit Pomade angeklatscht, daß es wie aufgemalt wirkte, und er hatte ein sonniges, vollmundiges Lächeln, das den Schlüssel zu seinem Erfolg auf zwischenmenschlicher Ebene darstellte. Das und seine Augen, die von einem sympathischen Hellbraun waren – und vollkommen rund, so rund wie zwei direkt im Kopf eingewachsene Monokel. Die McCormicks wollten ihn reich machen – jedenfalls dachten das die erstaunten Pfleger, als sie erfuhren, wieviel er im Monat verdiente: lockere zehntausend Dollar. Mart, der nicht allzuviel Hirn fürs Rechnen hatte, wies dennoch bald darauf hin, daß sich das im Jahr auf $120000 belaufe, mehr als selbst der König von Abessinien bekam. Falls es in Abessinien einen König gab.
    Zusammen mit seiner Frau, Dr. Helen Dorothy Clarke Kempf, zog er ins Meadow House ein, einen fürstlichen Fachwerkbau am Südrand des Grundstücks, errichtet von den McCormicks für den Komfort der behandelnden Ärzte, die so für den Notfall möglichst nahe wohnten. Dr. Brush hatte dort eine Zeitlang gelebt, ebenso Dr. Hoch, doch Brush hatte letztlich das Leben in der Stadt vorgezogen, und Hoch war an einen weniger geräumigen Ort übersiedelt, zwei Meter unter der Erde. O’Kane hätte gern ein paar Anhaltspunkte über den neuen Arzt gehabt – er wollte nicht allzu große Hoffnungen in ihn setzen, tat es aber unwillkürlich doch –, deshalb versuchte er während Kempfs erster Woche, einen seiner

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