Riven Rock
hinaus und verbrachte dann die nächsten zehn Stunden damit, von einem Haus zum nächsten zu laufen, hier ein Kind zu retten, dort einen Brand zu bekämpfen, überdreht vom Adrenalinschub dieses Erlebnisses, rußgeschwärzt und blutend, ohne Hut und ohne Hemd, vom Augenblick wie elektrisiert.
Als der Staub sich legte, stellte man fest, daß die meisten der älteren Gebäude im Ort zerstört oder schwer beschädigt waren – das Fithian Building, das St.-Francis-Krankenhaus, das Mortimer Cook Building, das Potter Theater, die Villa Diblee auf der Mesa im Süden der Stadt, sogar die alte spanische Mission –, und es hatte über fünfzig Verletzte und drei Tote gegeben (zwei davon, als ein Wassertank mit zweihunderttausend Litern Inhalt durch das Dach des Arlington Hotels gebrochen war). Präsident Coolidge beorderte die USS Arkansas von San Diego herauf, um medizinische Hilfe zu leisten und zum Schutz vor Plünderern eine Schwadron von Marineinfanteristen durch die Straßen patrouillieren zu lassen.
Die Telephonleitungen waren natürlich kaputt, und erst nach fünf Uhr nachmittags erfuhr O’Kane etwas über die Lage in Riven Rock. Er stellte sich das gesamte Haus in Schutt und Asche vor – völlig undenkbar, daß dieses starre Bauwerk aus Stein eine derartige Erschütterung überstanden hatte –, und er dachte an Mr. McCormick, gewiß, am meisten aber sorgte er sich um Giovannella. Giovannella, die seit vier Jahren ohne jeden Zwischenfall das Kommando in der Küche führte; Giovannella, seine eingeschworene Feindin, die jeden seiner Annäherungsversuche abwehrte und ihm dennoch ständig die Kinder unter die Nase rieb – ja, Kinder : das Mädchen, das sie im Sommer 1920 zur Welt gebracht hatte, trug den Namen Edwina und hatte dieselben graugrünen Dingle-Bay-Augen wie der kleine Guido. Er liebte Giovannella. Verehrte sie. Schmachtete nach ihr auf der Türschwelle zur Küche (einzutreten war ihm verboten), schrieb ihr leidenschaftliche Liebesbriefe (die sie niemals öffnete), flehte sie an, ihn – jawohl – zu heiraten. Diese Giovannella. Giovannella Dimucci Capolupo, das sturste Frauenzimmer auf Gottes grüner Erde, die Mutter seiner Kinder, die Liebe seines Lebens – »Du hast deine Chance gehabt, Eddie«, sagte sie, »und du hast sie vertan« –, um sie sorgte er sich.
Er bekämpfte gerade ein Feuer in einem Imbiß am Fuß der State Street, gemeinsam mit einer Armee von Jungen und Männern und rußgeschwärzten Frauen mit Halstüchern – die Eimerkette reichte bis zum Meer hinunter, von Hand zu Hand –, als er O’Mara die Straße entlanghumpeln sah. »O’Mara!« rief er, ließ den Wassereimer fallen und rannte über den aufgeworfenen Gehsteig, um den Mann bei den schmalen Schultern zu packen. »Was ist draußen passiert? Ist jemand verletzt?«
O’Mara betrachtete ihn geistesabwesend, als würde er ihn nicht erkennen, doch das lag an seinem unsteten Blick, der sich nie festnageln ließ. »Die Garage ist eingekracht«, sagte er, schüttelte eine Zigarette aus der Packung und hielt ein Streichholz daran, »und alle Autos hat’s zerquetscht. Total hin, allesamt.«
»Und das Haus?«
»Steht noch. Niemand verletzt, außer Caesar Bisordis Frau, die war draußen in einer Hütte – das Dach ist eingestürzt –, und mich hat Hull geschickt, um einen Arzt zu holen, als könnte ich in diesem Durcheinander einen finden.«
O’Kane wandte sich abrupt von ihm ab und begann zu Fuß den weiten Weg, und all die paradiesischen Hügel und Strände waren zur Hölle geworden, überall loderten Feuer, Autos waren gegen Bäume gerast oder standen bis zum Kühler im Graben, und dabei war es so vollkommen totenstill, daß man hätte meinen können, die ganze Welt wäre taub geworden. Um halb sieben kam er in Riven Rock an und sah dort einen überaus erregten Mr. McCormick auf dem Rasen vor dem Haus stehen, wo er zusammen mit Mart und Dr. Brush und einem stämmigen Arbeiter die Schäden begutachtete. »Eddie!« rief er aus, als er O’Kane die Auffahrt herankommen sah. »Bei uns hier hat’s mächtig gerummst, schlimmer als man je gesehen hat. Alle – alle Scheiben sind zersprungen, und sehen Sie nur da oben, wo die Blendsteine lose geworden sind...« Er hielt inne, um Luft zu holen. »Aber Sie – Sie sind ja halbnackt, Eddie. Und wo ist denn Ihr Hut...«
»Nicht so schlimm, Mr. McCormick, mir ist nichts passiert – ich bin nur froh, daß Sie gesund und in Sicherheit sind. Es war ganz schön übel unten im Ort«,
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