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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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konnte. Katherine quälte sich tagelang, ehe sie beschloß, einen Arzt zu Rate zu ziehen – einen Psychiater , und sie ertrug es kaum, den Begriff laut auszusprechen, doch sie erinnerte sich an Stanleys Mienenspiel, als er damals die Vase durchs Zimmer geschleudert hatte, und es war derselbe Ausdruck gewesen, mit dem er sie auf dem Dampfer beschimpft und Hugh und Claudia das Abendessen ruiniert hatte, deshalb nahm sie die Sache in Angriff.
    Man zog diskrete Erkundigungen ein – niemand in ihrer Bekanntschaft hatte jemals einen Arzt dieser Art gebraucht, und wenn doch, so hätte es keiner zugegeben –, und so kam es, daß eines sonneflirrenden Tages Anfang August ein sehr jung aussehender Mann mit wallendem goldblondem Schnurrbart die Einfahrt des Hauses entlangschritt, das sie in Brookline gemietet hatten, während ihr späteres Zuhause darauf wartete, gebaut zu werden. Sein Name war Dr. Jorimund Trudeau, den Doktortitel hatte er an der Johns Hopkins University erworben und danach elf Jahre Erfahrung in der Anstalt für geisteskranke Verbrecher in Rockport gesammelt. Das Mädchen führte ihn in den Salon.
    Stanley saß an einem Tisch beim Fenster, über den Plänen zu dem neuen Haus brütend, und Katherine hatte so getan, als läse sie in einer Zeitschrift, während der Teppich auf dem Fußboden Falten warf und der Minutenzeiger der Uhr auf dem Kaminsims mit einem mechanischen Desinteresse voranrückte, bei dem sie am liebsten laut aufgeschrien hätte. Sie erhob sich, um den Doktor zu begrüßen, und Stanley warf ihm einen raschen, erschrockenen Blick zu, obwohl sie ihn seit Tagen auf diesen Besuch vorbereitet hatte und sie beide darin übereinstimmten, daß er sich von einem Arzt untersuchen lassen müsse wegen seiner Nerven, die immer noch – da waren sie sich einig – etwas überreizt waren von den vielen Veränderungen und Aufregungen in jüngster Zeit.
    Man stellte einander vor, wobei Stanley sich feierlich erhob, um dem Doktor die Hand zu schütteln, und nach einem Austausch von Verbindlichkeiten über das Wetter und die Jahreszeit und den dicken Pelz, mit dem die Bärenraupen diesmal in den Herbst gingen, sagte Dr. Trudeau: »Erzählen Sie mir, Mr. McCormick, wie fühlen Sie sich heute – irgendeine nervöse Erregung? Beunruhigt Sie etwas? Geschäftliche Sorgen, Dinge dieser Art?«
    Stanley hielt den Kopf gesenkt. Er hatte ein Winkeleisen in der Hand und trug mit Bleistift Änderungen in den Plan des Architekten ein. »Ich fühle mich glitschig«, sagte er.
    Der Arzt wechselte einen Blick mit Katherine. »Glitschig? Wie meinen Sie das?«
    Jetzt wandte ihnen Stanley das Gesicht zu, sein bleiches, gutaussehendes Gesicht, das wie ein Mond über der Welt des Tisches und der pausenlos geänderten Pläne schwebte. »Wie ein Salamander«, sagte er. »Oder wie ein Aal. Und dieses Zimmer hier – sehen Sie das Zimmer? Es ist wie eine gewaltige, s-saugende Röhre, und ich bin mit soviel... na ja, soviel Schleim überzogen, daß ich mich nicht festhalten kann, verstehen Sie, wie ich das meine?«
    Der Arzt sprach jetzt mit einem völlig anderen Tonfall: »Können Sie sich daran erinnern, was für einen Tag wir heute haben, Mr. McCormick?«
    Stanley schüttelte den Kopf. Er setzte ein wunderschönes, geradezu heraldisches Grinsen auf. »Dienstag?«
    »Er ist sehr durcheinander in letzter Zeit«, bemerkte Katherine. »Wirklich, er ist etwas verstört.«
    »Und welcher Monat ist gerade?«
    Keine Antwort.
    »Äh, könnten Sie mir sagen, so ganz allgemein, wo wir uns hier befinden – dieses Haus, meine ich? In welchem Viertel? In welchem Bundesstaat?«
    Stanley sah auf die Pläne. Er brauchte eine Weile, und als er schließlich etwas sagte, sprach er in Richtung des Tisches. »Ich... die Richter haben mir befohlen, ich soll nicht mehr mit Ihnen sprechen.«
    Daraufhin wandte sich Dr. Trudeau an Katherine. »Mrs. McCormick, ich muß Sie leider bitten, jetzt das Zimmer zu verlassen, und ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, daß Mr. McCormick und ich von nun an allein miteinander sprechen – wenn Sie also bitte gehen würden, bitte?« Und er stand auf, um sie an die Tür des eigenen Salons zu geleiten.
    Benommen ging sie hinaus, die ungelesene Zeitschrift zusammengerollt in der Hand wie einen Zauberstab, und benommen stieg sie die Treppe hinauf, betrat ihr Schlafzimmer, schlug die Decke zurück und schlüpfte darunter. Zum erstenmal war sie ausgeschlossen worden, so als könnte sie ihrem Mann keinerlei Hilfe sein – als

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