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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Tagelang hatte sie außer dem Personal niemanden zum Reden, denn Stanley spukte nur als Gespenst durch das Haus, so stumm, als hätte man ihm die Zunge herausgeschnitten. Sie waren zusammen, ja, und er wirkte auch ruhiger (bis auf den einmaligen, erschreckenden Vorfall mit dem Angler auf dem Bootssteg), und doch war er ihr ferner als je zuvor. Von ihm kam nichts zu ihr, kein Funke, keine Anregung, manchmal verschwand er stundenlang im Wald oder hackte wie ein Besessener Holz – Holz genug für ein ganzes Dorf –, und er ging an ihr vorbei, als existierte sie gar nicht. Das war am schlimmsten. Es ließ ihr den Atem im Hals steckenbleiben, es verfinsterte das Zimmer und verdeckte die Sonne am Himmel.
    Und tags darauf wiederum betrat er völlig verändert das Zimmer. »Katherine«, sagte er dann, »erinnerst du dich noch an die Frau mit dem lustigen kleinen Hund in Nizza?« Und von da erging er sich in einer faszinierenden Reminiszenz über sämtliche Hunde in seinem Leben – und in ihrem, denn hatte sie nicht früher auch Hunde gehabt? Er war aufmerksam und zärtlich, nahm ihren Arm, wenn sie zum Abendessen gingen, ruderte sie stundenlang auf dem See herum – nein, nein, sie durfte die Ruder nicht einmal anfassen –, und erhob sich aus seinem Lesesessel, um das Kissen hinter ihrem Kopf zurechtzurücken. Manchmal ging das mehrere Tage hindurch so, und dann faßte sie neue Hoffnung. Das lange Gesicht war verschwunden, das Gemurmel, der ruckartige Gang, das wiehernde Lachen: er war wieder Stanley, ihr Stanley, der charmante, freundliche und zuvorkommende Stanley. Sie badete in seinem Lächeln, genoß seine Grübchen und die Art, wie seine Blicke sich zu ihr ausstreckten und sie festzuhalten schienen. Er gehörte ihr. Ganz ihr.
    »Was hältst du von Jack London?« fragte er sie eines Morgens, als sie auf einer Picknickdecke auf der Wiese lagen, sanft gewärmt von der bleichen Sonne inmitten der Vergänglichkeit des Herbstes. Er lag auf der Seite, den Kopf auf eine Hand gestützt, einen gelblichen Grashalm zwischen den Zähnen.
    Katherine hatte flüchtig in einem Buch von Wallace gelesen – Der Malaiische Archipel –, das ihr von einem ihrer Professoren speziell ans Herz gelegt worden war. Sie wollte im Wintersemester als Forschungsassistentin anfangen, sobald es Stanley wieder besser ging. Ihre Hand lag in der seinen. Sie sah von dem Buch auf und in den blauen Glanz seiner Augen.«Oh, ich weiß nicht recht«, sagte sie. »Wegen seines sozialen Gewissens gefällt er mir natürlich recht gut, aber diese Abenteuererzählungen... tja, ich habe Geschichten über achtbare Menschen lieber, Edith Wharton, so in der Art. Das weißt du doch.«
    »Er ist ein richtiger Mann«, sagte Stanley.
    Sie sah ihn an, betrachtete seine Augen, sein Grinsen. »Ja«, sagte sie, »das ist er wohl.«
    »Dem Gold nachjagen, Hundeschlitten lenken, alles riskieren.« Er blickte von ihr weg, auf die Baumreihe am Rand der Wiese, eine einzige Flamme von unbewegter Farbe. »Ich bin überhaupt nicht wie er«, sagte er leise. »Ich – ich – ich bin mein Leben lang verhätschelt und verwöhnt worden, bis zu den Ohren mit dem Geld meines Vaters vollgestopft. Ich selbst habe nichts erreicht, überhaupt nichts, nicht einmal auf meiner Ranch. Ich bin kein richtiger Mann. Ich bin überhaupt kein Mann.«
    »Oh, Stanley, doch, das bist du, das bist du...«
    Er konnte sie nicht ansehen. »Zu dir bin ich keiner.«
    Sie strich ihm mit der Hand über die Schulter, und dann legte sie sanft, ganz sanft – halt den Atem an, Katherine, halt den Atem an – die Wange an sein Gesicht. »Ich liebe dich, Stanley«, flüsterte sie.
    »Ich fühle mich...« begann er und verstummte.
    »Du wirst wie ein Mann zu mir sein, Stanley, das weiß ich. Du mußt dich nur etwas... entspannen.«
    Wange an Wange, der weite Himmel über ihnen, die Bäume, die Stille. »Jetzt fühle ich mich besser«, sagte er.
    Sie hob den Kopf, so daß sie ihm in die Augen blicken konnte, und der leise, ansatzweise Hauch eines Lächelns spielte über ihren Mund. »Meinst du, wir könnten hier...« flüsterte sie.
    Ein Anflug von Panik. »Hier? Im Freien?«
    Sie drückte ihn an sich.
    »Am hellichten Tag?«
    Es war nicht ideal, es war nicht einmal natürlich. Und es war ein Fehlschlag, ein einziger absoluter Fehlschlag, jenseits aller Hoffnung auf Besserung. Nach eineinhalb Ewigkeiten, in denen er planlos herumtastete, sich dauernd entschuldigte und ihr so eifrig das Ohr küßte, daß es danach noch

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