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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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wäre sie ihm nicht nur keine Hilfe, sondern sogar ein Hindernis –, und das tat weh, es schmerzte tief in ihrem Inneren, an einer Stelle, die selbst die Biologie nur unter größten Schwierigkeiten hätte benennen können. Es war das erste Mal, aber es sollte nicht das letzte gewesen sein.
    Drei Tage später, nachdem Dr. Trudeau ihren Mann jeden Nachmittag mehrere Stunden lang untersucht hatte, bat er Katherine um ein Gespräch unter vier Augen. Da Stanley im Salon saß, wo er beide Seiten der Baupläne mit einem frisch gespitzten Bleistift schwärzte, führte sie den Arzt in die Bibliothek. Sie war etwas ungeduldig mit dem Mann, weil er sie gleich von Anfang an derart ausgeschlossen hatte, aber sie verspürte auch Angst, wegen Stanleys außerordentlich seltsamer Antworten nicht nur auf des Doktors erste Fragen, sondern auch auf die vertraulicheren, privaten Fragen, die sie im Lauf des Tages gestellt hatte, und sobald sie beide saßen, schlug sie die Beine übereinander und wollte alles wissen: »Also?«
    Der Arzt zog an den Enden seines langen, wallenden Schnurrbarts, der den Blick von seinem schwächlichen Kinn und dem schmalen kleinen Mund ablenken sollte. Er sah ihr in die Augen. »Wegen Ihres Mannes«, begann er und räusperte sich.
    »Ja.«
    »Ich fürchte, es sind nicht nur die Nerven.«
    Stanley seinerseits wußte auch, daß etwas nicht stimmte, zutiefst falsch war, Hunde-im-Spiegel-falsch, Mary-Virginia-falsch, und es erschreckte ihn so sehr, daß er den Schmerz dabei in jeder Faser und jedem Gelenk seines Körpers spürte, bis in die Zahnwurzeln hinein tobte dieser Schmerz, Schmerz, Schmerz im Gehirn und den Fingerspitzen, ein krebsartiger Schmerz, ein tödlicher Schmerz, und er wollte mit dem Arzt zusammenarbeiten und einen Ausweg finden, das wollte er wirklich. Aber seine Richter waren streng und unbarmherzig, sie waren spitzfindig und scharfsinnig, und sie ließen es nicht zu. Er hörte des Doktors Stimme deutlich genug, hörte die Fragen, die ihm gestellt wurden, aber rings um ihn herum erklang statisches Rauschen, ein Murmeln der Ablehnung, das manchmal die dünne, piepsige psychologisierende Stimme einfach übertönte, als wäre sie nur der Todesseufzer dieser schmalen, behaarten Lippen. Dennoch kämpfte Stanley dagegen an, es war ein ritueller Kampf, den niemand verstehen würde, zwei Schritte vor und einen zurück, nicht auf die Zwischenräume treten, sechzig Sekunden lang den Atem anhalten, damit die Richter mit einem obszönen Schlenker ihrer schwarzen Roben verschwanden, und als der Doktor ihm den Rat gab, eine Zeitlang wegzufahren und ein einfaches, entspanntes Leben in der Natur zu führen, sich mit Wandern (oh, wie sehr sie das Wandern mochten, diese Ärzte), Holzhacken, langen Spaziergängen und Meditationen zu beschäftigen, da sagte er: Ja, ja, natürlich, wir reisen gleich morgen ab.
    Katherine fand das Haus. Es gehörte einer der Bridgepartnerinnen ihrer Mutter – oder vielleicht war es die Mutter von einer der Bridgepartnerinnen ihrer Mutter –, und sie konnten es ohne viel Umstände und Probleme für zwei Monate mieten. Es lag in Maine, tief in den Wäldern, eine bescheidene Hütte mit vierzehn Zimmern und vierzehn Bädern mit Blick auf einen See, rings herum explodierte das Herbstlaub, einfacher Geschmack, einfaches Leben, nur Stanley und seine Frau, der Chauffeur, die Köchin und zwei Hausmädchen. Stanley hackte Holz, und es war höchst therapeutisch. Er gab es diesem Holz so richtig, zermalmte es geradezu, und erzeugte dabei auch etwas – Brennstoff für das Kaminfeuer. Und so machte er jeden Morgen Feuer, während die Richter ihm über die Schultern keiften: Nein, du Idiot, so ist es falsch, leg die Scheite nicht so aufeinander, das wird nie brennen, wo hast du deinen Verstand? Nimm mehr Reisig zum Anzünden, mehr Papier, und er ließ sich Zeit, manchmal dauerte es Stunden, aber irgendwann kam der triumphale und vollkommene Moment, wenn er das Streichholz anlegte und sein Werk in Flammen aufgehen sah. Und Katherine. Sie war da. Mit bleichem Gesicht. Süß. Seine Frau. Er liebte sie, scherzte mit ihr, schaltete die Richter einfach ab – und was tat es schon, daß sie eine Hure war, was tat es, daß sie unter den Kleidern ganz weiß war und ihr Körper eine Vernichtungswaffe, und daß sie etwas verschwinden lassen konnte, daß sie den vaginalen Taschenspielertrick beherrschte, ebenso wie die Hure damals in Paris? Was tat es schon?
    An manchen Tagen redete er nicht mit ihr, kein

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