Riven Rock
zurückgekehrt und mitten in ihren Salon geplumpst war. Während des folgenden Monats wurde Fest auf Fest gefeiert, eine Familie nach der anderen lud das Ehepaar McCormick in ihr Haus, um es mit Trinksprüchen und Glückwünschen zu bedenken, und so konnte endlich auch das kultivierte Boston einen Blick auf den Bräutigam werfen. Alles schien gut zu sein, Stanley vergnügte sich sichtlich, die nervösen Tics und seine reizbaren Launen waren gänzlich verschwunden, bis sie eines Abends zu einer Dinnerparty nach Beacon Hill gingen, die Hugh und Claudia Dumphries für sie gaben und wo Stanley sich einbildete, Butler Ames sei unter den Gästen.
Sie waren achtzehn am Tisch, und Hugh, ein alter Freund von Katherines Mutter und anerkannter Landschaftsmaler, erhob sich gerade, um einen Toast auszubringen. Er war ein erschöpft wirkender Mann, dünn wie ein Skelett, mit grauer Tonsur und rechteckigen Brillengläsern, die seine farblosen Augen verzerrten; seine bevorzugten – nein, seine einzigen – Gesprächsthemen waren Kunst und Kunstgeschichte, und Katherine hatte geglaubt, Stanley würde ihn amüsant finden. »Auf Katherine und Stanley«, rief er und erhob am Kopfende des Tisches ein Glas.
Stanley saß gleich zu seiner Rechten. Er war schon den ganzen Tag über unruhig, irgend etwas wegen Hunden und Spiegeln, in der Droschke beim Herfahren hatte er vor sich hin gebrabbelt, und Katherine hätte dies als schlechtes Zeichen sehen sollen. »Das lasse ich nicht zu!« rief er und schoß vom Tisch hoch, so daß die anderen Gäste erstarrten, die Weingläser halb zum Mund erhoben.
Hugh blickte verwirrt drein, als hätte die Zimmerdecke vor Schmerzen aufgestöhnt oder als hätten die Wände zu sprechen begonnen. Er zog die schmalen Schultern ein und spähte kurzsichtig aus dem Kerker seiner Brille hinaus. »Was?« fragte er. »Wovon reden Sie?«
»Stanley«, sagte Katherine warnend und mit gepreßter Stimme.
Stanley beachtete sie nicht. Er war wie verwandelt, riesengroß und bedrohlich ragte er über dem Tisch auf wie ein zum Fällen angesägter Baum, der gleich auf sie alle niederkrachen würde. Er deutete mit dem Finger auf einen unscheinbaren jungen Mann am anderen Ende des Tisches, dessen Namen Katherine nicht recht verstanden hatte, als er vorgestellt wurde. »Nicht solange er im Raum ist«, donnerte Stanley.
»Wer denn?« fragte ein halbes Dutzend Stimmen.
Stanley zitterte, wankte, bebte. Sein Gesicht war knallrot. Sein Zeigefinger vibrierte, als er auf ihn wies. »Er!«
Der Mann, auf den er zeigte, war hager und blaß, mit einem Büschel aprikosenfarbenen Haars auf dem Kopf, und er schaute zuerst über die eine, dann über die andere Schulter, zutiefst verwundert. »Was, ich?« fragte er.
»Ja, Sie!« bellte Stanley, und jetzt erhob sich Katherine vom Tisch, um zu ihm zu gehen, ihn zu beruhigen, ihn zu bremsen. »Sie, mein Freund. Sie ! Sie sind – Sie sind ein Ehefrauenräuber, das sind Sie!«
Nichts ging zu Bruch an jenem Abend, weder der Kopf des unschuldigen Mannes noch das Wedgwood-Porzellan der Gastgeber, aber das Essen war ein Fiasko; nachdem Katherine Stanley ins Nebenzimmer gelotst hatte, um ihn etwas zu beruhigen, und danach allein zurückgekehrt war, um den Gästen zu erklären, ihr Gatte leide infolge der vielen Arbeit bei der Harvester Company an nervöser Erschöpfung, konnte das Essen weitergehen, doch Stanley sprach den ganzen Abend kein Wort mehr und aß mit einer stillen, wütenden Korrektheit, die alle Anwesenden – sogar seine Frau – zusammenzucken ließ.
Dies war das Ende des gesellschaftlichen Wirbels, und egal wie sehr sich Katherine und ihre Mutter bemühten, die Dinge zu beschönigen, sie mußten doch zugeben, daß Stanleys exzentrisches Verhalten über die Grenze des guten Geschmacks hinausging. Natürlich war jedermann in gewissem Maße exzentrisch, ja sensible und künstlerische Menschen ganz besonders – Katherines Tante Louisa etwa zog nie ihre Stiefel aus, nicht einmal beim Zubettgehen oder zum Baden, und Mrs. London, die zwei Häuser neben ihrer Mutter wohnte, sprach mit ihren Schusterpalmen, so als wären es beseelte Wesen mit ausgeprägten Ansichten über das Steuersystem oder die Kommunalwahlen –, aber keine von beiden war eine Gefahr für sich selbst oder andere. Und man mußte auch Stanleys Familiengeschichte berücksichtigen, seine Schwester Mary Virginia und auch seine Mutter, die zwar nicht im eigentlichen Sinne geistesgestört war, aber kaum noch als normal gelten
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