Riven Rock
alles wachen und ihnen beim Essen zusehen.
Unerläßlich für all das war Giovannella, die in der Küche fuhrwerkte, den linken Arm in einer Schlinge – nein, gebrochen war er nicht, nur verstaucht –, in den Augen ein brütender Zorn, während Mary und einer der Hausburschen herumwuselten wie verstörte Kaninchen. O’Kane hatte ihr Blumen und eine Schachtel Pralinen mitgebracht, er war um halb neun Uhr morgens wahrhaftig auf Händen und Knien zur Küchentür hereingekrochen, um Verzeihung von ihr zu erbitten, aber sie redete nicht mit ihm, sah ihn nicht einmal an, und das war’s dann, einstweilen jedenfalls. Butters übernahm das Servieren am Tisch, und man begann mit Kaviar, dicken grauen Kaviarkörnern von den Stören der Wolga, aufgehäuft in kleinen Glasschüsselchen, die graziös zwischen den großen Tellern aus gelbem Arezzo-Porzellan plaziert waren, und mit Wein, richtigem Wein, eingeschenkt aus einer enigmatischen grünen Flasche.
Es gab Suppe – Minestrone, eine von Giovannellas Spezialitäten –, gefolgt von Blätterteigpastetchen à la financière aus Diehls Feinkostladen, einem Salat und einer italienischen Hauptspeise, alles sehr europäisch. Mr. McCormicks Kalbfleisch war in der Küche vorgeschnitten worden, damit er nicht in Verlegenheit kam wegen der sechs Silberlöffel, die in unterschiedlichen Größen bei seinem Gedeck lagen, und O’Kane sollte ausdrücklich darauf achten, daß er nicht nach Messer und Gabel von einem seiner Tischnachbarn griff. Man plauderte. Aß. Nippte am Wein. Von seinem Platz an der Wand sah ihnen O’Kane zu, und er spürte, wie seine Speicheldrüsen prickelten und es in seinem Magen gewaltig rumorte – in solchen Momenten haßte er seinen Job am meisten, denn hier fühlte er seinen Rang, als ein Dienstbote in einem wahren Ozean von Dienstboten.
Mrs. Roessing äußerte sich lobend über den Garten – war Stanley tatsächlich weitgehend bei dessen Planung beteiligt gewesen, wie sie gehört hatte?
Dr. Kempf: »Ja, Stanley, nur zu.«
Mr. McCormick: »Ich, nun, ich... ja.«
Mrs. Roessing (die beim Vorbeugen den Schmuck an ihrem Hals zur Schau stellte): »Das ist wirklich ein Talent, die Landschaftsgestaltung meine ich – ich wünschte, ich hätte das auch. Wirklich, mein Grundstück in Philadelphia geht langsam vor die Hunde, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Katherine: »Stanley war immer sehr gut in diesen Dingen – beim Zeichnen, auch in Architektur. Nicht wahr, Stanley?«
Dr. Kempf: »Ist schon gut. Nur los doch.«
Mr. McCormick: »Meine Mutter... die hat das auch immer gesagt, aber sie wollte nicht, daß... Und ich ha-habe es in Paris gelernt, das Zeichnen meine ich, bei Monsieur Julien. In seinem Atelier.«
Dr. Kempf (erklärungshalber): »Dieser Julien war recht prominent um die Jahrhundertwende, praktisch der Doyen der Pariser Kunstszene – und Stanley hat unter seiner Anleitung etliche wirklich einmalige Skizzen angefertigt, stimmt’s, Stanley?«
Mr. McCormick: »Ich, also... ja. Mit Bleistift und auch in Kohle. Den Pont-Neuf habe ich neuf mal gezeichnet. Aber keine Akte, nein, niemals Akte. Und was halten Sie davon, Mrs., Mrs. Jane?«
Mrs. Roessing: »Phantastisch. Einfach phantastisch.«
So war es zwei Stunden lang weitergegangen, während ein Gang auf den nächsten folgte, bis zu den Desserts, dem Obst und nun, zum Abschluß und ohne Mr. McCormick, zum Kaffee. »Also, wie schätzen Sie die Lage ein, Dr. Kempf?« fragte Katherine mit einem Mal, und dabei ging eine große Kälte von ihr aus, die Eisprinzessin zeigte ihr wahres Gesicht. »Können wir noch mehr von diesem Selbstbewußtsein und klaren Verstand erwarten? Oder ist das nur eine Art Trick, auf den Sie Stanley abgerichtet haben – wie ein Hund, der durch einen Reifen springen kann?«
Kempf stellte seine Tasse ab, senkte den Kopf, rieb sich die Augen und warf O’Kane einen raschen Blick zu, alles innerhalb einer Sekunde. »Es stimmt, ich habe vorher mit ihm gesprochen. Gestern abend hatte er Angst vor Ihnen, Angst davor, daß Sie ihn nicht erkennen würden – oder nicht mehr lieben. Wir haben das heute früh diskutiert und uns darauf geeinigt, daß es keinen Grund für ihn gibt, sich vor ihnen zu fürchten, daß Sie seine Frau sind und ihn immer lieben werden. Sehen Sie, es geht darum, ihn neu zu erziehen, ihn wieder einzugliedern, ihn in soziale Situationen zu bringen, vor allem in Gesellschaft von Frauen, das ist wesentlich. Ja, ich denke sogar daran, eine Pflegerin
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