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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ich es bin, die hier die endgültigen Entscheidungen trifft. Sämtliche.«
    Katherine hielt Wort. Jeden Tag um ein Uhr mittags, über die Weihnachtszeit ins neue Jahr hinein und weiter bis zum milden, windigen Ende des Winters und dem Herannahen des Frühlings, der genau so war wie die vorangegangenen Jahreszeiten, Winter, Herbst und Sommer, erschienen sie und Mrs. Roessing zum Mittagessen mit Mr. McCormick, nach dem sie manchmal lange blieben, bis fünf oder sechs Uhr: man spielte Karten, las sich laut etwas vor oder saß einfach nur da, in eine dicke Wolke aus Schweigen gehüllt. O’Kane war die ganze Zeit dabei, und Mart ebenso. Mr. McCormicks Genesung war dramatisch, jeden Tag machte er weitere Fortschritte, dennoch war er weiterhin gefährlich und unberechenbar, immer noch eine Bedrohung für seine Gäste und sich selbst, und sobald er sich verabschiedet hatte – stets unter vielen Verbeugungen und Kratzfüßen und Küßchen auf die dargebotenen Hände der Damen in einem Drama von kriecherischer Selbstverleugnung, bei dem O’Kane schon vom Zusehen übel wurde –, eskortierten ihn seine Pfleger nach oben zu den vergitterten Fenstern und der eisernen Tür.
    Er hatte immer noch seine schlechten Tage, an denen er mit feuchten Augen und zusammengekniffenen Lippen aus Kempfs Behandlungszimmer im Theatergebäude kam, und dann versuchte er oft, davonzulaufen oder seinen Ärger an einem unschuldigen Busch auszulassen, den die Gärtner seit Jahren aufmerksam gepflegt und gestutzt hatten. Einmal, als O’Kane ihm einen sanften Stups in Richtung des Hauses versetzte, weil er vom Weg abgeschweift war, bückte er sich, lockerte eine der Steinplatten und jagte ihn und Mart damit über den Rasen, den Stein wie eine Waffe über den Kopf erhoben. Ein andermal trat er Mart ohne den geringsten Anlaß mit dem Knie in den Unterleib und boxte O’Kane so heftig aufs Ohr, daß es noch tagelang summte und sang, wie eine schlechte Telephonverbindung. »Warum haben Sie das getan, Mr. McCormick?« schimpfte O’Kane und hielt sich den Kopf, während Mart, bis in die Haarwurzeln erbleicht, ungelenk zwischen den Lorbeerbäumchen niedersank, mitten auf den Bau einer Taschenratte. »W-Weil«, stammelte Mr. McCormick, dessen Gesicht angespannt war wie eine geballte Faust, »weil ich – ich hasse es, ich hasse...« Er beendete den Satz nie. Jedenfalls nicht an diesem Tag.
    Trotzdem besserte sich sein Zustand beträchtlich, und der Umgang mit Frauen – sie zu sehen, ihr Parfum zu riechen, ihre Hände knapp und flüchtig mit den Lippen zu kosen – schien wahrlich Wunder auf ihn zu wirken. Katherine begann, gelegentlich Mr. McCormicks zwanzigjährige Nichte Muriel mitzubringen, und auf Dr. Kempfs Anregung unternahmen sie ab und zu Ausflüge. Anfangs beschränkten sie sich auf das Grundstück, veranstalteten Picknicks auf den Indianergründen oder genossen die Aussicht von den höhergelegenen Gebieten des Terrains, bald aber wurden – natürlich immer unter Aufsicht von Kempf, O’Kane und Mart – sogar Strandpartys organisiert. Katherine mietete eine Cabaña an einem der herrlichen, nach Süden ausgerichteten Badestrände von Carpinteria, wo sich die Wellen in sanftem Gleichmaß brachen, und man konnte auf ihnen reiten wie ein Delphin, das Wasser war warm wie ein Bad. Mr. McCormick sah komisch aus in seinem Schwimmkostüm, wenn er, blaß wie ein Schwede, behutsam durch den Seetang auf die unstete Brandungslinie zuwatschelte und wie ein Schuljunge davonrannte, sobald das Wasser seine Zehen umspülte. Komisch, aber gesund. Während O’Kane auf dem Badetuch saß, Mr. McCormick immer gut im Blick und auch die beiden Männer, die für den Tag angeheuert waren, um in einem Ruderboot knapp jenseits der hohen Wellen dem finsteren Fall der Fälle vorzubeugen, empfand er es geradezu als niederschmetternd, daß Mr. McCormick in all den Jahren, die er hier in diesem Paradies auf Erden lebte, kein einziges Mal den Ozean berührt hatte, und der Ozean auch nicht ihn.
    Es war eine gute, eine glückliche Zeit. Eine Zeit der Hoffnung: Jeder, sogar Nick, spürte langsam, daß sich etwas Außergewöhnliches zutrug, und alle hatten beinahe ein wenig Angst, darüber zu sprechen, um es nicht zu verschreien. Mr. McCormick erlebte wieder die wirkliche Welt, er trat aus seinem Käfig heraus, integrierte sich in die umfassenderen Abläufe des Lebens, Teilchen für Teilchen, und für seine Pfleger verhieß das – vielleicht, möglicherweise, irgendwann – das Ende

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