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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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passiert. Es war Tatsache.
    »Was hast du für einen Eindruck gehabt, Jane?«
    Mrs. Roessing war etwa Mitte Vierzig, nach O’Kanes Schätzung, aber mit ihrem Make-up, den Kleidern und dem hellrot ondulierten Haar wirkte sie zehn Jahre jünger. Sie warf Katherine einen Blick zu, ganz Augen und Zähne. »Tja, ich kann mich nicht gerade als Expertin bezeichnen, weil ich Stanley früher nicht kannte, aber seine neue Persönlichkeit, jedenfalls die, die er uns hier gezeigt hat, ist wirklich reizend, meinen Sie nicht auch, Dr. Kempf?«
    Der Arzt richtete sich auf – gepflegte, etwas gedunsene blasse kleine Hände, das aufgemalte Haar und die glänzende Schädelplatte. Er war ein Marionettenspieler, ein Bauchredner, der verrückte Wissenschaftler, der seine Kreatur vorgeführt hatte, der dämonische Svengali mit seiner Trilby. »Das finde ich auch«, sagte er mit blitzendem Lächeln. »Reizend.«
    Auch O’Kane hatte es erstaunt, vor allem nach der Darbietung vom Nachmittag zuvor – Mr. McCormick war ein Ausbund an guten Manieren gewesen, ganz der Mann, mit dem O’Kane seinerzeit im McLean Hospital Golf gespielt hatte: herzlich, höflich, weder von Dämonen noch Richtern heimgesucht. Er war bereits auf gewesen, als O’Kane eintraf, ein Lächeln und einen Scherz auf den Lippen, und er war sehr präzise und effizient beim Duschen – weder kauerte er auf den Kacheln, um seine Zehen einzeln einzuseifen, noch rubbelte er sich mit dem Handtuch wund. Und er pfiff, tatsächlich, er pfiff in der Dusche, wie ein Mann auf dem Weg zur Arbeit, »Beautiful Dreamer« hallte von den Wänden wider, gleich danach eine schwungvolle Version von »Yes, We Have No Bananas«. Beim Frühstück legte er perfektes Benehmen und gute Laune an den Tag, witzelte über den zähen Schinken (der eigentlich gar nicht zäh war, wenn man Messer und Gabel zur Hand hatte, was bei ihm nicht der Fall war, und er registrierte das Absurde seiner Lage auf die ihm eigene gewiefte Art) und verspottete Mart wegen seines Schmerbauchs (»Übrigens, Mart, ist das eigentlich ein Rettungsring da unter deinem Jackett?«).
    Nach dem Frühstück unternahm er einen Spaziergang zum Theatergebäude und zurück, dann zweimal rund ums Haus, und er ging völlig normal, achtete nicht auf die Spalten zwischen den Steinplatten und zog auch das Bein kaum noch nach. Dann folgte seine tägliche Zweistundensitzung mit Dr. Kempf, aus der er oft sehr aufgebracht und erregt herauskam, mal sprachlos, mal mit Tränen in den Augen oder voller Wut, aber heute nicht. Heute war er vollkommen gefaßt, ja er lächelte sogar.
    Sie saß in der großen Eingangshalle, ganz in Grau gekleidet, und O’Kane bemerkte, daß sie viel Zeit und Überlegung auf ihre Erscheinung verwendet hatte – sie sah gut aus, sehr gut, besser als am Vortag oder sogar letztes Jahr. Mrs. Roessing war ein schon etwas älterer Backfisch in Ultramarinblau, mit einem silbernen Turban auf dem Kopf, ihre attraktiven, wohlgeformten Beine lagen bis zu den Oberschenkeln frei und steckten in weißen Seidenstrümpfen, die man ihr am liebsten heruntergeleckt hätte. O’Kane stand daneben wie ein Möbelstück.
    »Katherine«, sagte Mr. McCormick mit fröhlicher, gedämpfter Stimme, ging direkt auf sie zu, ergriff ihre Hand und neigte sich herab, um sie zu küssen, samt Handschuh. Und dann, mit einem so breiten Grinsen, daß es schien, als platze ihm gleich das Gesicht, wandte er sich Mrs. Roessing zu. »Und das muß, das muß...« – hier kam er kurz durcheinander, das war verständlich, zwanzig Jahre und dann diese Beine, und O’Kane machte sich auf das Schlimmste gefaßt – »Jane« , sagte er schließlich, als ob ihm damit die Luft ausginge. Überraschenderweise ergriff er auch ihre Hand zum Kuß, wie ein Schauspieler im Film.
    Butters nahm die Umhänge der Damen, Mart schob sich hinter einer Statue hervor, und nach ein paar belanglosen Kommentaren zum Wetter – Wieviel Glück du doch hast, Stanley, mit diesem himmlischen Klima jahraus, jahrein, du solltest mal sehen, was für ein Wetter jetzt in Philadelphia ist, Schnee bis, na ja, Schnee bis hierhin – schlenderte die Gruppe ins Speisezimmer hinüber. Der Tisch bot bequem Platz für achtzehn Personen, aber Butters hatte Mary angewiesen, an einem Ende vier Gedecke aufzulegen, Mr. McCormick sollte am Kopfende sitzen, da er ja der Gastgeber war, seine Frau zu seiner Rechten, Dr. Kempf zu seiner Linken, und Mrs. Roessing zur Linken des Doktors. Mart und O’Kane sollten über

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