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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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außerdem«, sagte er über die Schulter, »wollen Nick und Pat auch was trinken. Die warten oben auf mich – und damit du’s bloß weißt, ich sitze hier fest heute abend. Willst du etwa, daß ich wie ein Narr aussehe, wenn ich mit leeren Händen zurückkomme?«
    Er hätte noch weitergeredet, hätte sich zu echter rhetorischer Inbrunst gesteigert, wenn nicht auf einmal das Mehlsieb von seinem Hinterkopf abgeprallt wäre, und da ging sie auch schon mit einem Holzlöffel von der Größe eines Maurerwerkzeugs auf ihn los, italienische Flüche auf den Lippen.
    Das Blechsieb hatte ihn am Kopf verletzt, und er blutete, da war er sicher, und obwohl er sich absolut nichts vorzuwerfen oder zu bereuen hatte, nur ein wenig Festtagslaune verbreiten wollte und noch nicht einmal richtig betrunken war, packte er sie unwillkürlich beim Handgelenk, dem rechten Handgelenk, nur um sich zu schützen. Die Linke war wieder eine andere Sache. Er hatte ihre Hand mit dem Löffel abgefangen, aber sie entwand sich ihm, als tanzten sie beide eine Tarantella, alles wirbelte herum, und sie schnappte sich eine große hölzerne Gerätschaft, die wie eine Keule aussah, und schon war es ihr gelungen, ihm über die Schulter zwei bösartige Schläge auf den linken Unterarm zu versetzen, und warum, warum tat sie das eigentlich?
    Er hatte immer ein schlechtes Gefühl, wenn er eine Frau schlagen mußte – wie ein Hund fühlte er sich, wirklich –, aber wenn sie ihm so direkt kam (weswegen überhaupt?), dann mußte er mit ihr auch direkt werden. Ein Topf fiel scheppernd zu Boden. Mary huschte hinaus, die Hand vor den Mund geschlagen. Sie tanzten vom Herd weg, seine Finger hielten immer noch ihr Handgelenk umschlungen, die Keule wirbelte, durch zusammengekniffene Lippen preßte sie den Atem in kurzen, häßlichen Stößen heraus – pfh-pfh-pfh –, und er hatte es langsam satt, hatte genug von der Sinnlosigkeit und ihren barometerhaften Launen, von der Art, wie sie ihn ständig behandelte, und er schlug zu. Nur einmal. Aber es lag genügend Kraft dahinter, daß sie, als er gleichzeitig ihren Arm losließ, rückwärts gegen das Knetbrett flog, man hörte ein scharfes, anklagendes Knacken, als würde ein Stock entzweigebrochen, alles segelte in die helle Leere der Küche, und der bleiche, ausgebreitete Leichnam des Teigs landete ohne viel Umstände auf dem Fußboden.
    Es gab kein Nachspiel. Gar nichts. Keine Entschuldigungen, keine Vorwürfe, keine Wiederaufnahme des Kampfes oder vergossene Tränen. Denn in diesem Moment – Giovannella war geohrfeigt, der Teig war ruiniert, O’Kane halb betrunken, vor Wut fluchend und aufgeplustert zu seiner vollen Breite und Größe – ertönte plötzlich ein durchdringender Schrei, der sie beide erstarren ließ: »Mama!« O’Kane sah zu der offenen Tür hin, und da stand der kleine Guido, elf Jahre alt und schon ziemlich breit in den Schultern, und was war das in seinen Augen, neben all dem Entsetzen, Schrecken und Zorn? Drei Uhr. Drei Uhr nachmittags.
    Das Mittagessen war ein Erfolg, da waren sich alle einig. O’Kane blieb im Speisezimmer bei Katherine, Dr. Kempf und Mrs. Roessing sitzen, während Mart Mr. McCormick zu seinem Verdauungsschläfchen nach oben geleitete, und das Gefühl der Erleichterung und des gegenseitigen Schulterklopfens war geradezu greifbar. Es war, als hätten sie miteinander einen Krieg durchgestanden, zumindest eine Schlacht, und nun saßen sie hier, alle unverletzt und ohne Verluste. »Na, Katherine, Jane, hab ich’s nicht gesagt?« krähte Kempf und verrührte ein Stück Zucker in dem schwarzen Sud seines Kaffees.
    O’Kane stand an der Tür postiert, die Hände in den Taschen. Eigentlich hatte er auch gehen wollen, zusammen mit Mart und Mr. McCormick, als ihm Dr. Kempf ein Zeichen mit den Augen gab. Er kannte seine Rolle. Moralische Unterstützung. Der Pfleger immer zur Seite.
    Katherine strahlte. Sie schürzte vergnügt die Lippen und nippte an ihrem Kaffee, als wäre er eine Infusion aus frischem Blut und neuem Leben. »Es war so wundervoll, wirklich. Stanley war so... so richtig wieder der alte.«
    Und was war so wundervoll? Daß sie zum erstenmal seit 1906 gemeinsam mit ihrem Mann gegessen hatte, ohne daß er sie angegriffen, ihr die Suppe über den Kopf geschüttet oder sich aus dem Fenster davongemacht hatte? Kleine Siege, dachte O’Kane. Aber es war ein Anfang, ein Schritt nach dem anderen, genau wie damals, als sie ihm erneut das Gehen hatten beibringen müssen. Es war

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