Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
schlafen mit dem gemeinen Volk auf Erbsenstroh, segnen das tinhol , präsentieren auch den Bauern ihre Bücher, auf dass sie in Hochachtung erstarren, und bekehren ganze Familien. ´Wir lassen uns steinigen, wie die Apostel sich steinigen ließen, ohne ein Wort unseres Glaubens zu verleugnen`, reden sie, und dass die unersättlichen Priester – damit meinen sie uns, Bruder Fulco - den Leib Christi längst verschlungen hätten, selbst wenn er so groß wie der nid d`aigle, der Berg Bugarach wäre. Eine solche Narretei beeindruckt natürlich die einfachen Seelen.“
Der Abt von Fontfroide zitterte geradezu vor Empörung. “Rigoros lehnen sie nicht nur die Eucharistie, sondern die ganze römisch-katholische Kirche ab, ungeachtet der Worte Cyprians, des Bischofs von Karthago, der wegen der Standhaftigkeit seines Glaubens hingerichtet worden ist.“
„´Niemand kann Gott zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat`“, zitierte Saint-Georges.
Novel nickte. „Richtig. Bisweilen drängt sich mir die Frage auf, ob Authié überhaupt noch bei klarem Verstand ist. Seit kurzem scheint er die Leute aufzufordern, sich im Gebet ausschließlich an den Herrn zu wenden, statt Maria anzubeten. Auf der anderen Seite schildert er ihnen das Paradies als einen Ort, in dem sie einander wie Väter und Mütter, Brüder und Schwestern lieben würden – nicht etwa als den Ort, an dem jeder endlich seines Gottes ansichtig würde. Dass sie dann auch noch mit Vehemenz den Eid ablehnen, das soll einer verstehen!“
„Die meisten Ketzer stellen sich weder Gott noch den Teufel als Person vor, Bruder Abt“, erklärte Saint-Georges, „sondern als Prinzip – das Gute und das Böse also -, doch wie das einhergehen soll mit ihrer Vorstellung vom Paradies, ist auch mir nicht klar. Was allerdings den Eid angeht, so sollte es das Ziel aller Christen sein, ihn unnötig zu machen. Schließlich hat ihn Jesus ebenfalls ausdrücklich verboten.“
„Gut, gut. Doch in einer Gesellschaft voller Angst und Lüge? Wie kann man da auf die Eidespraxis verzichten? Die Menschheit ist unmündig. Und würde man alles wörtlich nehmen, was Jesus Christus gesagt hat, müsste man sich auch fragen, ob er Priester wollte, oder etwa nicht?“ Der Abt zwinkerte ihm zu.
Saint-Georges hob erstaunt die Brauen. Doch Novel hatte recht.
„Authié ist dreist“, meinte er, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. „Wir haben überall Aushorcher sitzen, doch es scheint, als löste sich dieser Mann jedes Mal in Luft auf, wenn wir vor der Tür stehen. Die Leute sagen, er habe den ´Mund eines Engels`“. Saint-Georges verzog spöttisch das Gesicht. „Nun, wer weiß, vielleicht besitzt er auch Flügel!“
Der Abt lächelte nachsichtig. „Wir hätten ebenfalls genügend Beweise gegen ihn in der Hand. Doch unser Dilemma ist, dass die katharisch Gesinnten in den Dörfern um Fontfroide noch immer wie Pech und Schwefel zusammenhalten. Die parfaits haben ihren Mund am Ohr der kleinen Leute - seit sie das Neue Testament ins Okzitanische übersetzt haben sowieso -, und das Volk – leider nicht nur diejenigen minderer Abkunft - schützt sie, macht sich sogar zu ihren Botengängern. Aus diesem Grund ist der Kerl nicht zu fassen. Dennoch - Nikolaus von Abbéville hat recht. Im Vergleich zu demjenigen, den sie den Hüter nennen, ist Authié harmlos. Der Hüter ist der weitaus Gefährlichere, und man scheint ihn zu verehren wie St. Peter persönlich!“
„Er soll etwas in seinem Besitz haben, das die Welt aus den Angeln heben könnte. Bruder Nikolaus erwähnte ... ein verschollenes Evangelium?“
Der Abt schüttelte zweifelnd das Haupt. „Evangelium ist gewiss zuviel gesagt. Er meint damit die Geheimen Worte Jesu, die der Jünger Thomas Didymos, der Zwilling, aufgeschrieben hat. Es soll sich um eine Sammlung von Aussprüchen unseres Herrn handeln. Die Manichäer, diese Erzketzer, haben sie benutzt, und von ihnen scheinen sie auf die Katharer gekommen zu sein. Wir hatten einmal einen von ihnen in unseren Händen, der hat daraus zitiert: Die Pharisäer und die Schriftgelehrten haben die Schlüssel zur Erkenntnis erhalten, und sie haben sie versteckt. Sie sind auch nicht eingetreten, und die, die eintreten wollten, haben sie nicht eintreten lassen. Aber ihr seid klug wie die Schlangen und rein wie die Tauben. Nun ja, rein wie die Tauben, so nennen sich die Katharer, ob sie aber so klug sind wie die Schlangen, wage ich zu bezweifeln! Die Schlüssel zur Erkenntnis
Weitere Kostenlose Bücher