Robbers: Thriller (German Edition)
vermitteln könnte. Zu jeder der Hütten gehörten ein Carport und eine Kochnische, ein klemmendes Fenster und ein Fernseher ohne Kabelprogramme. Zum Warten taugte der Ort so gut wie jeder andere.
Er brachte sein Gepäck aufs Zimmer und rief noch einmal in Austin an. Moline war früh gegangen. Die Labortechnikerin hatte keine Neuigkeiten bis auf die, dass in Brookshire dieselbe Waffe benutzt worden war wie bei Bernie Rose. Im Moment arbeiteten sie an den Beweisstücken aus Manvel.
Rule bat die Labortechnikerin, ihn anzurufen, sobald sie irgendwelche Ergebnisse hätten. Dann fragte er: »Was war los mit Moline?«
»Moline? Ihm war schwindlig, und er musste sich übergeben. Meinte, es könnte die Grippe sein.« Die Technikerin zögerte einen Moment. »Ehrlich gesagt, glaube ich, dass seine Frau kurz vorher angerufen hatte. Sie scheinen Probleme zu haben.«
»Meinen Sie?«
Rule hängte ein, zog Hemd und Stiefel aus, löste seinen Gürtel und legte sich aufs Bett. Seine untere Rückenpartie schmerzte vom vielen Fahren. Eine Stunde später erwachte er vom Klingeln des Telefons aus einem Traum, an den er sich nicht erinnern konnte. Es war das Handy, drüben auf dem Stuhl in seiner Hemdtasche. Er rollte sich vom Bett, meldete sich und erwartete die Labortechnikerin, doch es war Dana.
»Rule, du gemeiner Kerl. Wo bist du, Schätzchen?«
»Woher hast du diese Nummer?«
»Von deiner Arbeitsstelle. Ich hab ihnen gesagt, ich wäre Sekretärin im Houstoner FBI-Büro. War das schlimm?«
»Wo bist du?«
»Zuhause.«
»Wo ist Moline?«
»Er hat sich mit einer Flasche in sein Zimmer verkrochen. Keine Angst, ich bin in der Küche.«
Mit einem Knopfdruck schaltete Rule das Telefon aus und legte es neben sich aufs Bett. Nach einem kurzen Augenblick begann es wieder zu läuten.
»Ja?«
»Verdammt, du kannst mich nicht einfach abwürgen, Rule. Das ist …«
Er drückte erneut auf den Knopf. Dann legte er sich hin, einen Arm über dem Gesicht, und versuchte sich an den Traum zu erinnern. Einzelne Bilder kamen hoch, die er nach und nach zusammensetzte. Er war in Vietnam und spielte bei Vollmond während einer Wache Poker. Er aß Bohnen, und um ihn herum hockten irgendwelche Scheißkerle. Er und Slide Henderson spielten Stud-Poker, erzählten sich Blödsinn und lachten. Der Mond schien so hell, dass die Karten das Licht reflektierten. Dann hörte der Traum abrupt auf und gefror zu einem Standbild.
Er erhob sich und ging unter die Dusche. Beide Hände gegen die Fliesen unter der Düse gepresst, ließ er sich das Wasser den Rücken hinunterlaufen. Er schloss die Augen und brachte das Standbild in Bewegung. Die Erinnerung kam zurück. Immer noch Nam. Aber jetzt war er ein Lieutenant mit braunen Abzeichen, und er lachte nicht mehr. Ob der Mond voll war oder nicht, konnte er schwer erkennen wegen der Monsunwolken, aus denen der Regen prasselte, dicker als Öl. Eine nächtliche Patrouille, in solcher Dunkelheit, dass ihn sein Gleichgewichtssinn im Stich ließ. Es war so dunkel, dass er sich auf dem Pfad am Hemd des Vordermanns festhielt, und der Kerl hinter ihm an seinem. Um nicht zurückzubleiben, um nicht verloren zu gehen. Das Elefantengras schlug ihm ins Gesicht. Mehr als mannshohes Gras. Vietcong im Gras, wartend, lauschend. Und dann kriegte irgendein gedankenloser Kerl ganz hinten plötzlich Panik und brüllte los: »Verdammte Scheiße! Wo seid ihr, Jungs?« Keiner bewegte sich. Dann ein Blitz, der grauenvolle Knall einer Explosion, und wieder fror das Bild ein.
Ein irrsinniger Traum.
Auf Rules Rücken dampfte das Wasser. Er fühlte den Regen, die Nacht, das Gras im Gesicht, den puren Horror der Situation. Einer der Träume, bei denen man kurz davor ist, den Verstand zu verlieren, und sich dessen vollkommen bewusst ist.
Es gab nur ein Problem: Er war nie in Nam gewesen. Genauso wenig wie Slide Henderson. Slide war ein professioneller Spieler aus Fort Worth, ein Pokerspieler. Einer, der alles über Chancen und Risiken wusste. Niemals wäre er nach Vietnam gegangen.
Trotzdem ein irrsinniger Traum.
Rule stellte das Wasser aus und trocknete sich ab. Mit nacktem Arsch stand er im Zimmer, das Handtuch um die Schultern gelegt, und rief das Labor an. Nacheinander hob er seine Eier an. Sie trockneten aus, kein Zweifel. Das war kein gutes Zeichen.
Im Labor wurde beim vierten Klingeln abgehoben. Dieselbe Technikerin wie vorher. Sie machte einen kompetenten Eindruck. All diese jungen Leute mit ihren Abschlüssen in Kriminologie
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