Robert Enke
sie schließlich bei ihm in Istanbul war, dachte er schon daran, dass
er nach ihrer Abreise wochenlang ohne sie sein würde.
Er präsentierte ihr die Wohnung, die er ausgesucht hatte, und sie erschrak. Es fiel kaum Licht in die Zimmer. Es war Nachmittag,
Sommer, Teresa musste die Lampen in der Küche einschalten. Von der plötzlichen Helligkeit aufgeschreckt, flohen Kakerlaken.
»Robbi!«
»Als ich die Wohnung angesehen habe, schien sie mir in Ordnung.«
»Aber jetzt überleg doch mal, wie wir in Barcelona leben, was hat dir daran immer so gefallen?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Da haben Teresa und ich vielleicht auch Fehler gemacht«, sagt Jörg Neblung. »Weil es ihm das halbe Jahr zuvor in Barcelona
wieder besser ging, dachten wir, er wird das in Istanbul schon meistern, so wie er sich nach seiner Flucht aus Lissabon oder
nach Novelda wieder gefangen hatte.«
Für Teresa und Jörg war er ein feinfühliger Mensch, der manchmal in Extremsituationen aus dem Gleichgewicht geworfen wurde
und der danach, wenn er mit seiner ungeheuren Selbstbeherrschung die Schwermut vertrieben hatte, gestärkt aus der Dunkelheit
hervorging.
Teresa half ihm, eine andere Wohnung in Istanbul zu finden, und flog nach vier Tagen, einen Tag vor dem Saisonstart, zurück
nach Barcelona. Er schaffe das, sagte sie zum Abschied, und in 14 Tagen komme Jörg erneut zu Besuch, in drei Wochen schon |201| wieder sie. Sie glaubten, wenn er erst einmal die Anfangsangst überwunden habe, würde es laufen, wie damals in Lissabon. Er
musste sich nur in den ersten Spielen selbst überzeugen, wie gut er war. Hoffentlich passierte nur bis dahin nichts.
Jörg Neblung schickte ein Fax an Robert Enke, Swissotel, Zimmer 1296. »Morgen, Robbi, anbei die aktuelle Presse. Habe gestern
kurz mit Eike telefoniert; er sagte mir, Du würdest einen sehr guten und selbstbewussten Eindruck machen … schön zu hören!
Es gibt halt keinen Zweifel an Deinem Status und Deinen Fähigkeiten – ich hoffe, Du hast momentan auch ein Ohr für solche
Statements!!! Sonst alles Döner? Gülegüle, Jörg.«
In der Nacht vor dem Auftakt der türkischen Meisterschaft blieb die Mannschaft in Fenerbahçes Sportschule in Samandira, weit
im Osten der Stadt, Istanbuls Zentrum ist hier nur noch eine entfernte Ahnung. Er hatte ein Einzelzimmer und wollte gerne
die Bundesliga sehen, Bremen gegen Gladbach, Hannover gegen Bayern, so wie er es bei Benfica am Abend vor dem Spiel immer
mit Moreira getan hatte. In Fenerbahçes Sportschule empfing er nur einen deutschen Sender, RTL, ohne die Übertragungsrechte
für die Bundesliga.
Moreira erreichte Robert seit Wochen nicht mehr. Sie hatten nach ihrer Zeit bei Benfica weiter regelmäßig miteinander telefoniert,
Robert hatte verlässlich zurückgerufen, wenn er die Nummer seines kleinen Torwartbruders unter verpassten Anrufen entdeckte.
Nun schwieg Robert. »Das ist die letzte Nummer, die ich von ihm hatte«, sagt Moreira und zeigt sein Telefonverzeichnis vor,
00 34-6 67 63 02 28, Spanien. Später sprach Moreira einmal mit van Hooijdonk. »Wie geht es Robert, du warst doch mit ihm bei
Fenerbahçe?«, wollte er sofort wissen. »Robert ist nicht mehr derselbe«, sagte van Hooijdonk. »Er redet nicht mehr. Er ist
seltsam geworden.«
Robert Enke saß in seinem Zimmer in Feners Sportschule, die Stunden bis zum Anpfiff zogen sich. Er suchte ein Blatt Papier,
er fand Jörgs Fax und schrieb auf die Rückseite:
Tagebuch Istanbul.
Dann begann er zu schreiben.
|202|
10. 08. 2003. Sind im Trainingscamp in Samandira. Heute Abend ist das erste Ligaspiel. Es ist ziemlich öde hier.
Mir geht es, wie zu erwarten, ziemlich schlecht. Es ist eine Mischung aus Angst, Nervosität und Heimweh. Heimweh nach meinem
Leben mit Terri und den Hundis. Terri ist gestern geflogen.
Ich frage mich oft, warum ich das mit Fenerbahçe gemacht habe, und sehne mich nach einem Datum zurück, an dem ich die Entscheidung
noch vor mir hatte. Wahrscheinlich würde es mir in Barcelona ganz ohne Perspektive auch schlecht gehen, aber ich hätte Terri,
meine Freunde und mein Umfeld, in dem ich mich geborgen fühlte.
Vom Trainerstab bin ich etwas enttäuscht. Daum müsste wesentlich mehr Wert auf Disziplin legen. Zur Mannschaft habe ich kaum
Bezug.
In dieser Stimmung fuhr er ins Stadion.
Es ging 40 Kilometer zurück ins Zentrum, schon wieder ein Stau auf dieser Brücke, Fenerbahçes Stadion liegt unweit des
Weitere Kostenlose Bücher