Robert Enke
dass die Entscheidung endgültig war; er brauchte die Sicherheit, jederzeit nach Sant Cugat zurückkehren zu können, und wenn
es nur für ein paar freie Tage war. Aber nun war er zum ersten Mal in seinem Leben allein.
Die Menge der Fans am Flughafen war zu einzelnen Grüppchen geschrumpft, ein paar Leute erkannten ihn und riefen etwas, er
verstand es nicht. Den Gesichtern nach zu schließen, waren es freundliche Worte, aber wie konnte er sich sicher sein? Er wusste,
was in den Zeitungen stand.
Fenerbahçe hatte den türkischen Nationaltorwart Rüştü Reçber, ein Idol, an Barça abgegeben. Präsident Aziz Yildirim, der gewohnt
war, Entscheidungen per Dekret durchzusetzen, träumte von Frankreichs Weltmeister Fabien Barthez als Ersatz. Und dann hatte
Daum darauf bestanden, diesen Deutschen einzustellen, den Yildirim nicht einmal kannte, den Barça nicht mehr wollte! Die türkischen
Zeitungen hatten ihr Urteil gefällt, ehe er in Istanbul landete. Was wolle ein Ersatztorwart bei Fener?
Er musste auf ein Podium, vor diese Zeitungsreporter. Zwei |198| Knöpfe seines weißen Hemdes waren geöffnet, das Hemd hing leger aus der Hose, Istanbul im August. Die Fotografen gaben ihm
durch Gesten zu verstehen, er solle sich zu Fenerbahçes blaugelber Fahne stellen. Er legte die eine Hand an die Vereinsfahne,
mit der anderen spreizte er den Daumen den Kameras entgegen zum Zeichen, Klasse, dass ich hier bin, stark, dass ich für Fenerbahçe
spielen werde. Und sein Gesicht sagte alles andere.
Die Wangen rot, die Augen geweitet, unruhig.
Jörg entschied sich, so zu tun, als nehme er Roberts Anspannung nicht wahr. Er wollte es nicht noch schlimmer machen, indem
er es ansprach.
Stattdessen ließ er beim Präsidenten anfragen, ob Aziz Yildirim kurz für ein Foto mit Robert bereitstünde. Solch ein Bild
könne die Situation ein wenig entspannen, hoffte Jörg Neblung. Es würde den Eindruck erwecken, der Präsident schätze den neuen
Torwart oder dulde ihn zumindest.
Yildirim ignorierte das Anliegen.
Egal, versuchte sich Jörg Neblung zu beruhigen, wichtig war nur, dass der Trainer hinter Robert stand.
Sie fuhren in das Hotel, das der Klub für Robert Enke reserviert hatte, es war von gehobener Klasse, aber von verblühendem
Charme, im Häusermeer auf der asiatischen Seite. Pierre van Hooijdonk, Roberts Freund aus Lissabonner Tagen, zufällig zur
selben Zeit als Fenerbahçes neuer Stürmerstar verpflichtet, war in einem Luxushotel an grünen Parkhängen auf der europäischen
Seite untergebracht worden, der Blick reichte über den Bosporus.
Robert Enke wollte im Hotel zu Abend essen. Bloß nicht mehr rausgehen.
Jörg blieb drei Tage bei ihm. Er sorgte dafür, dass Robert in van Hooijdonks Hotel umziehen durfte, er reiste zufrieden ab,
denn »die Voraussetzungen für eine schnelle Eingewöhnung waren günstig«, der alte Freund van Hooijdonk in der Nähe, zwei,
drei Deutschtürken wie Ali Günes aus Freiburg in der Mannschaft, die deutschen Trainer und eine Stadt, die in den Vierteln
Galata oder Beyoğlu die Lebendigkeit des geliebten Lissabon besaß.
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Robert Enke mit der Fenerbahçe-Fahne nach der Vertragsunterzeichnung. [18]
Er fuhr jeden Tag mit Pierre van Hooijdonk zum Training, die einfache Strecke vierzig Kilometer – und dabei mussten sie nicht
einmal an das Ende der Stadt. Auf der Bosporus-Brücke floss der Verkehr chronisch zäh. Robert dachte sich, zum Glück ist Pierre
da, so habe ich wenigstens ein wenig Spaß. Pierre dachte sich, was ist denn mit Robert los? Er regte sich die ganze Zeit auf,
über den Verkehr, über die unkonzentrierten Mitspieler, über alles. Dann sprach er wieder minutenlang gar nichts.
Ein Immobilienmakler, vom Klub beauftragt, zeigte ihm Wohnungen. Okay, die nehme er, sagte er schnell, damit er die Entscheidung
hinter sich hatte.
Einmal telefonierten wir. Ich erwähnte beiläufig, ich ginge gleich mit einem Freund Sushi essen. Dieses banale Wort Sushi |200| löste etwas in ihm aus. »Und ich stehe hier in Istanbul im Stau auf dieser scheiß Brücke!« Er klang so zornig, oder war es
doch eher verzweifelt, dass ich erschrak.
Effektiv war er nur drei Tage allein. Jörg ging, und dann würde schon Teresa zu Besuch kommen. In den drei Tagen dazwischen
spielte Fener zum Test gegen Kocaelispor, dreißig Minuten vor Anpfiff wurde ein Schaf auf dem Platz geopfert, er dachte, »zum
Glück ist Teresa noch nicht da mit ihrer Tierliebe«. Als
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