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Robert Enke

Robert Enke

Titel: Robert Enke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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Kanonentor-Palastes,
     Heim der Sultane, Herrscher des Osmanischen Reichs. Die Tribünen waren vier gelbblaue Wände aus 52   000 Fanatikern, der Gegner, Istanbulspor, nicht der Rede wert.
    Er trug ein glänzendes dunkelblaues Trikot mit angedeutetem V-Ausschnitt und eine Hose, fast so breit wie die eines Boxers.
     Er sah gut aus in der neuen Torwartkluft, kräftig und doch beweglich. Sein Gesicht sah man erst später auf Fotos.
    In Barcelona flüchtete Teresa zu Dickens. Sie ritt in den Wald, sie ließ das Pferd galoppieren, die Geschwindigkeit zwang
     sie, sich zu konzentrieren, nicht daran zu denken, dass in Istanbul gerade ein Fußballspiel stattfand.
    Der Gegner, Istanbulspor, stand kurz vor dem Bankrott, am Ende der Saison würde sich die Elf mit einem Punkt Vorsprung vor
     dem Abstieg retten. Fener strengte sich an, das Spiel zu dominieren, aber Istanbulspor igelte sich ein, es ist das Recht der
     kleinen Teams. Fener kam nicht durch, Fener wurde nervös. Irgendwann ein langer Pass aus Istanbulspors Spielhälfte, |203| es waren erst 18 Minuten gespielt, er rannte raus und merkte in der nächsten Zehntelsekunde, den Ball würde er niemals erreichen.
     Istanbulspors einziger Stürmer, der Israeli Pini Balili, der jetzt auch Türke ist und Atakan Balili heißt, hatte den Ball
     schon, Feners Verteidiger waren bereits abgehängt, noch 25 Meter bis zum Tor, der Ball sprang einladend vor Balili auf, er
     überlupfte Enke mit Genuss, der Torwart, gestrandet an der Sechzehnmeterlinie, rannte verzweifelt zurück, dem Schuss noch
     hinterher, und ahnte schon, er würde ihn nur noch aus dem Tornetz holen.
    Sein Torwarttrainer saß auf der Tribüne, Eike Immel war überzeugt, »an dem Tor konnte er nichts machen, es ging ein unfassbar
     dämlicher Fehlpass von Selçuk voraus, dann lief der Konter so schnell, dass Robert seine Position nicht mehr korrigieren konnte«.
     Er dagegen schimpfte laut auf sich selbst, als er den Ball zum Anstoßkreis schlug. Sein Fuß verfing sich im Klopapier, das
     Fans in sein Tornetz geworfen hatten.
    Er glaubte, jemand habe ihn in den Zeitlupenmodus versetzt. In seiner Wahrnehmung schien er sich unendlich langsam zu bewegen.
     Später sagte er zu Jörg: »Alles war in Nebel gehüllt.«
    In der zweiten Halbzeit lag der Ball nach einer Rückgabe vor seinen Füßen. Und Robert Enke machte keine Anstalten, irgendetwas
     zu unternehmen. Ein Raunen auf den Tribünen schwoll zum Grollen an. Eike Immel spürte, wie sein Herz schneller schlug, schieß
     den Ball doch weg, Mann!, dachte er. Die Gegner, die sich erst gar nicht bemüht hatten, den Torwart zu belästigen, stutzten;
     schon rannte der erste, Balili, auf ihn zu. Und er bewegte sich immer noch nicht. Als wisse er nicht, was er mit dem Ball
     machen sollte; als habe er vergessen, wie man einen simplen Pass ausführte. Immel wollte schreien, weg das Ding, schnell!
    Zu spät.
    Balili stibitzte Enke den Ball, es gab ein Durcheinander in Feners Strafraum, 52   000 schrien spitz und wild, das Chaos der Spielszene hatte sie erfasst. Endlich bereinigte irgendein Abwehrspieler die Gefahr.
     Eike Immel brauchte seine Zeit, um sich von dem Schock zu erholen. »Robert hatte komplette Aussetzer«, sagt er.
    |204| Nach 57 Minuten stand es 0:3. Münzen, Feuerzeuge, Flaschen flogen ihm um die Ohren. Er wusste, hinter seinem Tor standen die
     eigenen Fans.
    Teresa kam vom Reiten nach Hause. Im Videotext würde sie das Ergebnis finden. Sie fand vor sich selbst eine Ausrede, den Fernseher
     nicht einzuschalten. Sie musste doch erst duschen.
    Eine Viertelstunde später klingelte ihr Telefon.
    »Hallo, der Gunnar ist hier.«
    Als Kinder hatten es Robert und seine Freunde aufregend gefunden, dass Robert einen sechs Jahre älteren Bruder hatte. Der
     große Bruder konnte ihnen etwas von Musik und Mädchen erzählen. Mit 21 war Gunnar Vater geworden. Seit Robert ein Wanderarbeiter
     des Profisports geworden war, sahen sie sich nur noch für ein paar Tage in den Ferien und telefonierten gelegentlich.
    »Ja, Gunnar?«, sagte Teresa.
    »Ich wollte mich nur mal so melden.«
    »Gunnar, wenn du was weißt, dann sag es mir bitte gleich!«
    »Ja. 3:0.«
    »Gewonnen oder verloren?«
    »Verloren.«
    Teresa brach auf der Treppe zusammen.
     
    Sie wählte wieder und wieder seine Handynummer. »Draußen war es dunkel geworden«, erinnert sich Jörg, der es seinerseits versuchte.
     Schließlich rief Robert Teresa zurück. Er stand schon wieder auf dieser Brücke, im

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