Robert Enke
zuvor zur Sommertournee in die Vereinigten Staaten aufgebrochen. Robert Enke, Roberto
Bonano und Stürmer Dani García mussten allein in der Masía trainieren. Die Leere erinnerte die drei an alles, was nicht mehr
da war, das Lachen der Mannschaft, das rhythmische Plopp des Balls, wenn Barça ihn passte, die ewige Sommerhoffnung, dass
in dieser Saison alles gut werde. Das Schweigen der Masía sagte ihnen, ihr werdet nicht mehr gebraucht, sucht euch schnellstens
einen anderen Verein.
Es war Montag, die Woche fing gerade erst an, der Juli war fast schon zu Ende. In Deutschland oder England begann in wenigen
Tagen die neue Saison. Es war unrealistisch, dass ihn nun noch ein passables Angebot erreichte.
»Wir haben keine Alternative zu Fenerbahçe«, sagte Jörg Neblung, »und wenn wir es einmal nüchtern betrachten, ist das nicht
der schlechteste Klub, das Gehalt stimmt, du kannst dort Meister werden und dich wieder präsentieren.«
»Wir schaffen das«, sagte Teresa. »Es ist doch nur ein Jahr.«
Das sagten ihm die beiden schon seit Tagen.
Er sagte nichts. Die türkische Liga galt damals als Auffangbecken für Spieler mit Karriereknick. In Robert Enkes Augen war
die Türkei das Synonym für Gescheitertsein.
|196| Mitte Juli, sie waren auf dem Rückweg vom Urlaub in Deutschland nach Barcelona gewesen, 2000 Kilometer mit den Hunden im Auto
auf dem Heimweg ins Ungewisse, hatte Robert Enke die deutschen Trainer von Fenerbahçe im Trainingslager in Bitburg besucht.
Triff sie wenigstens einmal, hatten ihm Jörg und Teresa gesagt.
Er aß mit Christoph Daum und Eike Immel im Hotelrestaurant, man konnte noch auf der Terrasse sitzen, Teresa war an seiner
Seite. Daum riss die Augen weit auf und sprach, als interpretiere er eine Theaterrolle, Immel war von natürlicher Herzlichkeit
und warf mit Vergnügen Anekdoten aus alten Fußballtagen ein. Robert, den Teresa nur einmal im Leben, mit 17, betrunken erlebt
hatte, schenkte sich kräftig Rotwein nach.
Jemand schätzte ihn noch als Torwart. Für einen Abend füllte ihn der Gedanke aus. Er entspannte sich, er stellte viele Fragen,
wie war es um die Qualität von Fenerbahçes Abwehr bestellt, kam man mit Englisch in Istanbul erst einmal durch. Wie angenehm
natürlich Teresa und Robert waren, was für eine ruhige Bestimmtheit Enke ausstrahlte, schoss es Eike Immel durch den Kopf.
»Als Daum und ich wegfuhren, waren wir richtig euphorisch. ›Der
muss
es sein‹, sagten wir uns.«
Zwei Wochen später fuhr Robert Enke nach dem Montagstraining auf der verlassenen Masía durch den Tunnel von Vallvidrera nach
Hause, obwohl die Maut zwei Euro kostete, er redete mit Teresa, er telefonierte mit Jörg, er sagte, also gut, ich mach’s.
»Ich hab’s mir schöngeredet: deutsches Trainerteam, gutes Geld, probier’s halt mal.«
Als Jörg Neblung in Istanbul ankam, glaubte er, er sei in eine biblische Szene geraten. Und er teilte das Wasser – an diese
Stelle des Alten Testaments musste er denken, als er neben Christoph Daum aus dem Atatürk-Flughafen schritt. Hunderte Fans
empfingen den Trainer und seinen Tross, Hände und Köpfe streckten sich ihnen entgegen, doch sie konnten im Trabtempo marschieren,
der Trainer teilte die Menge mit seiner puren Erscheinung. |197| In Deutschland hatte sich Daum nach vielen Possen und dem berühmtesten Haartest des Landes, der seinen Kokainkonsum dokumentierte,
den Ruf verdorben. In der Türkei war er wer, nachdem er Mitte der Neunziger aus dem Istanbuler Klub Besiktas den Meister und
Pokalsieger gemacht hatte. Fenerbahçe war in der zurückliegenden Saison nur Sechster geworden, eine Düpierung für den populärsten
Klub des Landes. Daum war das Versprechen, dass alles wieder gut würde. Für Robert Enke war es das übliche Szenario. Nach
Mönchengladbach, Benfica, Barça war er abermals bei einem Klub gelandet, der den Vergleich mit der eigenen großen Vergangenheit
nicht aushielt.
Er traf kurz nach Jörg Neblung aus Barcelona ein, alleine. Teresa würde mit den Hunden bei den Freunden in Sant Cugat wohnen
bleiben und ihn regelmäßig besuchen, hatten sie vereinbart. Er sollte doch nur eine Saison in der Türkei verbringen, es war
nur eine Überbrückung, vielleicht konnte er danach sogar zurück zu Barça, sein Vertrag dort war nur für ein Jahr ausgesetzt
worden. Er selbst hatte darauf bestanden, dass sie auf keinen Fall richtig nach Istanbul umzogen. Er wollte das Gefühl vermeiden,
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