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Robert Enke

Robert Enke

Titel: Robert Enke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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Fußballtorwart sein. Die Angst, die er im zurückliegenden
     Jahr gespürt hatte, war keine grundsätzliche, unabänderliche |229| Angst, sondern nur der Ausdruck seiner Krankheit. Wenn er seine Versagensängste therapieren ließ, würde mit der Krankheit
     auch die Furcht verschwinden. Die Probleme, die Gedanken begannen, wenn er aus der Praxis hinausging.
    Denke immer wieder an Sachen zurück, die über zwei Jahre zurückliegen. Wann wird es bei mir endlich klick machen, und ich
     kriege den Hintern hoch. Ich glaube nicht daran, dass es je passiert.
    Die anderen wollten schon seit einigen Wochen, dass er nach Manchester reiste. Manchester City interessierte sich für ihn.
    »Mach dir doch einfach mal eine Pro-und-Kontra-Liste. Was spricht für, was gegen einen Wechsel nach England«, sagte Teresa.
    »Wir können doch nur einmal hinfahren und schauen uns alles an«, sagte Jörg.
    Betrachte das Angebot von City einfach als Chance oder auch nur als Übung und eben nicht als alles oder nichts, wie du es
     in Istanbul und beim Spiel in Novelda getan hast, sagte ihm Doktor Markser.
    »Also gut, fahren wir hin«, sagte er und fragte sich, was das bringen sollte.
    Jörg Neblungs Geschäftspartner in England zeigte ihm die Stadt, das Stadion und das Trainingsgelände der Citizen.
    Bis letzten Sonntag sollte ich mich entscheiden, ob ich Ja zu Verhandlungen sage oder nicht. Ich habe es getan. Dass ich größte
     Zweifel habe, muss ich wohl nicht ausführlich beschreiben.
    Doch die Besserung, die er nicht mehr sehen konnte, sah Jörg schon seit einigen Tagen. Es würde niemals klick machen. Das
     war die Sehnsucht eines Fußballers, der gewohnt war, dass ein Moment alles verändern konnte. Aber seit Ende November, seit
     die Tage mit Training, Markser, Training einen festen Rhythmus gefunden hatten, gab es wieder Hoffnung. Er antwortete beim
     Frühstück gelegentlich. Er kam abends widerstandslos mit, ein Bier trinken. Die steinerne Maske, die einmal sein Gesicht gewesen
     war, zeigte erste Risse. Seit drei Monaten nahm er Antidepressiva.
    |230| Am Wochenende ging Jörg mit ihm Joggen, zum Rhein hinunter, Joggen war gut gegen Depressionen, die Muskeln entspannten sich,
     Stresshormone wurden abgebaut. Er hasste Joggen, es war der Beweis seines Verfalls, er war Torwart und joggte.
    Sie liefen an der alten Eishalle vorüber, auf dem Parkplatz spielten ein paar türkische Kinder Fußball. Die Jungen warteten,
     bis er vorbei war.
    »Ey, Enke, schlechter Torwart. Schlechter Torwart!«
    Robert joggte einfach weiter. Jörg brauchte einige Laufschritte, um zu verarbeiten, was er gerade gehört hatte. Dann drehte
     er sich um.
    »Was hast du gerade gesagt? Was? Soll ich dir mal sagen, was Fenerbahçe für ein Klub ist? Der letzte! Einen Torwart wie Robert
     sehen die nie mehr!«
    »Jörg«, sagte Robert ruhig, aus der Ferne von fünf Joggingschritten. »Lass sie doch, das sind Kinder.«
    Sie joggten weiter, schweigend, Jörg glühte vor Zorn. Erst viel später fiel Jörg auf, dass sie gerade wieder die Alten gewesen
     waren. Nicht mehr Pfleger und Pflegefall, sondern Berater und Klient in vertauschten Rollen. Dem Beschützer war von seinem
     Anvertrauten wie früher so oft Besonnenheit gelehrt worden.
     
    Mitten in diese Phase vorsichtiger Hoffnung fiel die Weihnachtszeit. Adventslichter brannten in den Straßen, an Holzbuden
     mit Tannenzweigen standen die Leute dicht gedrängt, heiße Glühweinbecher in den Händen, dampfender Atem vor den Gesichtern.
     Er spürte die erdrückende Erwartung, auch so zu sein. Warum konnte er nicht mehr so sein?
    Jörg hatte für Tanja einen Weihnachtskalender gebastelt, jeden Tag eine kleine Überraschung. Das Glück anderer Leute erinnerte
     Teresa an ihre Verlorenheit. Sie hätte so gerne auch einen Weihnachtskalender, sagte sie zu ihm. Er glaubte, Traurigkeit herauszuhören:
     Die anderen bekamen Adventskalender, und sie hatte nicht einmal ihren Mann an ihrer Seite in Barcelona.
    Plötzlich hatte er eine Idee.
    Er würde ihr einen SMS-Weihnachtskalender schenken. Jeden |231| Tag schickte er ihr einen selbst gedichteten Vierzeiler auf das Handy.
    Sein Herz kann man nicht bestimmen,
    leichter ist es, einen Berg zu erklimmen.
    Nur ist er auch schwierig zu schaffen der Berg,
    am Fuße man fühlt sich wie ein winziger Zwerg.
    Das Bild gefiel ihm. Er war ein Zwerg. Er merkte nicht, wie er mit jedem Reim wieder größer wurde.
    Der Zwerg sagt sich: das schaff ich nicht,
    ich bin doch nur ein dummer

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