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Robert Enke

Robert Enke

Titel: Robert Enke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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er, Jörg und
     dessen neue Freundin Tanja strahlend mit Sektgläsern anstießen. Sie feierten seinen Abschied von Benfica. Er war frei, hatten
     sie damals geglaubt, er konnte ablösefrei zu einem anderen Verein wechseln, weiter, höher hinaus. Er fixierte sein Gesicht
     auf dem Foto, wie war er damals nur auf die Idee gekommen, dass es toll wäre, Lissabon zu verlassen?
    Wenn ich das Bild sehe, möchte ich mir auf die Fresse hauen.
    Am 14. Oktober 2003, auf den Tag genau zwei Monate, nachdem er Istanbul verlassen hatte, schrieb er nur viereinhalb Zeilen
     in sein Tagebuch. Er begann mit
Werde bald verrückt
und endete mit:
Denke oft an …
    Das Wort Selbstmord hinzuschreiben schaffte er nicht.
    Am nächsten Tag entschied er mit Teresa und Jörg, dass es reichte. Er würde, vermutlich für ein paar Monate, zu Jörg nach
     Köln ziehen, um sich dort in Behandlung zu begeben.
    Selbstmordgedanken sind für depressive Menschen bis zu einem gewissen Grad eine Erleichterung. Der Gedanke, dass noch ein
     Ausweg bliebe, hilft ihnen kurzzeitig. Die Gefahr ist, dass der Gedanke, es wäre möglich, irgendwann nicht mehr ausreichend |223| Trost bietet. Ihre auf Negatives verengte irrationale Sichtweise treibt sie dahin, den vermeintlichen Ausweg aus der Dunkelheit
     zu suchen.
    Robert Enke packte seinen Koffer für Köln, was sollte er mitnehmen, es gab so viele Sachen, die er vermutlich in Köln brauchte,
     wo sollte er anfangen, wie packte man einen Koffer?
    Da ist immer das Gefühl, dass es so wahnsinnig viel zu tun gibt, aber wenn ich konkret etwas machen will, weiß ich nicht,
     wie ich es anpacken soll.
     
    Er zog zu Tanja und Jörg in die Krefelder Straße 29, sie richteten ihm das Gästezimmer, er dachte: oder war es das Kinderzimmer?
     War er nicht auf diese Rolle geschrumpft, ein Kind, hilflos? Er stellte den Wecker nicht mehr, sondern wartete, dass Jörg
     morgens klopfte. Jörg trat ins Zimmer. Er wartete. Robert rührte sich nicht. »Robbi?« Er berührte ihn vorsichtig an der Schulter,
     schließlich zog er die Rollläden hoch. Der Freund hatte die Augen geöffnet und blickte starr durch die Zimmerdecke hindurch.
    Vom nächsten Tag an schickte ihn Jörg jeden Morgen hinaus, um die Zeitung und Brötchen zu kaufen. Beim Frühstück hörte er
     von fern, wie Jörg mit ihm redete, oh, schau mal hier, der FC wirft Funkel raus. Er wollte gerne antworten, aber was ging
     ihn das alles an, der FC, Funkel, Fußball, das Leben. Jörg redete weiter, als sei es ein normales Gespräch, mit jemandem angeregt
     zu diskutieren, der auf nichts einging.
    Weitermachen, sagte sich Jörg, auch wenn nicht zu erkennen war, dass es jemals weitergehen würde. Merkte Robert überhaupt,
     dass ihm am Frühstückstisch der Kopf auf die Brust gefallen war?
    Sie besuchten die Psychologin, die ihm die Deutsche Sporthochschule empfohlen hatte. Eine rührige Frau, gewiss hatte sie vielen
     Leuten geholfen. Das Problem war nicht sie, das Problem war er. Er sah nicht, wie er dieser Frau erklären sollte, was es hieß,
     Angst zu haben, wenn der Stürmer flankte, immer diese scheiß Flanken, damals in Novelda, alle drei Tore nach Flanken.
    Weitermachen, sagte sich Jörg.
    |224| Doktor Sun-Hee Lee, Oberärztin am Universitätsklinikum Köln, wurde ihm empfohlen, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Psychiatrie.
    Robert saß ihr im Krankenhaus gegenüber und fühlte sich so fremd, dass er nicht wusste, was er sagen sollte.
    »Wir finden jemanden für dich«, sagte ihm Jörg, als sie die Klinik wieder verließen, »ganz sicher.« Er sagte nichts. Ihm war
     es doch egal, ob sie einen Psychiater fanden, ihm war alles egal, wenn er nur endlich aufhören könnte, immer wieder zurückzudenken,
     an all seine Fehler im letzten Jahr, wie hatte er nur so viel falsch machen können, Barcelona, Istanbul, warum nur war er
     nicht in Lissabon geblieben? Er nahm weiter Antidepressiva, heimlich verschrieben, und spürte nicht einmal mehr die Nebenwirkungen,
     seinen trockenen Mund.
    Er sollte trainieren, nicht weil er auf irgendetwas hinarbeitete, sondern um irgendetwas zu tun. Jörg sorgte dafür, dass er
     die Fitnessräume des Neptunbads umsonst besuchen durfte.
    Kerzen auf siebenarmigen Ständern brannten am Eingang des Spa, die hohen Hallen der ehemaligen Badeanstalt, 100 Jahre alt,
     waren in frischem Weiß gestrichen. Er setzte sich auf die Hantelbank und glaubte, während er die Gewichte stemmte, schon Muskelmasse
     zu verlieren. Er müsste sich einen Plan

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