Robert Enke
Wicht.
Er denkt: dafür bin ich zu klein,
da muss man doch viel größer sein.
Ein Fehler, sagte Doktor Markser zu ihm, sei, zu warten, dass etwas passiere. Sich nicht der Passivität überlassen, notierte
sich Robert, machte ein Ausrufezeichen dahinter und fuhr nach Gierath. Er wollte Hubert Roßkamp einen Überraschungsbesuch
abstatten.
Der alte Freund kämpfte, um »dem Tod von der Schippe zu springen«. In Huberts rheinischem Singsang klingt selbst solch ein
Satz noch fröhlich. Mühsam erholte er sich von einer Krebsoperation.
Hubert trug eine graue Jogginghose, die sein aschfahles Gesicht nicht lebendiger machte. »Ja, um Himmels willen, Robert«,
rief er, »jetzt habe ich gar keinen Erdbeerkuchen zu Hause!«
Sie brachen zu einem Spaziergang auf, den alten Hundeweg hinunter, den sie zu Mönchengladbacher Zeiten immer gegangen waren.
Der Matsch quakte unter ihren Füßen. Er hole aber noch Erdbeerkuchen, sagte Hubert. Alamo, der alte Jagdhund, den Teresa vor
sieben Jahren angefahren auf der Straße aufgelesen und bei Hubert gelassen hatte, lief neben ihnen her. Robert erkundigte
sich nach Huberts Operation, den Schmerzen, den Fortschritten. Dass er selbst auch krank war, verbarg er. Er war doch gekommen,
um zu helfen.
|232| »Schenkst du mir trotzdem weiterhin jeden Tag einen Adventsreim?«, fragte Teresa, bevor sie am 20. Dezember noch einmal nach
Köln flog. Zu Weihnachten würden sie gemeinsam nach Barcelona zurückfliegen.
Er dachte nicht, ich bin geheilt. Er dachte einfach gar nicht mehr oft an seine Krankheit. Im Radio sang Michael Jackson
Billie Jean
, und er tanzte mit Teresa in Jörgs Wohnzimmer den Moonwalk dazu, vorwärts rückwärts gehen. Bei Jörgs Freunden waren sie zum
Truthahnessen eingeladen, er kannte niemanden, aber das störte ihn nicht, umso besser, er würde neue Leute kennenlernen. Aus
einer Bar nahm er einen Stapel Werbepostkarten mit. Eine Karte zeigte ein Schwarz-Weiß-Foto von einer Cocktailbar. Auf die
Rückseite schrieb er. Der versprochene Weihnachtskalender-Vierzeiler am 20. Dezember wurde acht Zeilen lang.
Heute ist Samstag, oh wie schön,
wir werden auf ’ne Party gehen.
Truthahn essen, einen saufen,
und dann nach Hause laufen.
Tanja, Terri, Jörg und Rob,
der mit dem kaputten Kopp.
Das wird lustig, was ein Spaß,
wir geben heute richtig Gas.
Drei Tage später landeten sie in Barcelona. Vom Flughafen ging es die Ringstraße an den Wohntürmen der Außenbezirke vorbei,
Scheußlichkeit hat hier ihren endgültigen Ausdruck gefunden. Aber er konnte schon bald das Grün des Collserola entdecken.
Als sie in Sant Cugat in die Straße Der Drei Plätze einbogen, sah er ihr Haus und wusste: Er war wieder da.
Marco Villa rief zu Weihnachten an. Er hatte sich einer Sportpsychologin anvertraut. Er konnte zwar nicht sehen, wie sie ihm
helfen würde, Atemübungen, die Wand fixieren, aber egal, er habe Nachrichten, er gebe ihm gleich auch noch Christina. Seine
Frau war schwanger.
|233| Ein Kind zu bekommen wäre schon schön, dachte Teresa kurz, aber auf keinen Fall in nächster Zeit. Jetzt brauchten sie erst
einmal Erholung von dem, was hinter ihnen lag.
Vier Kinder warteten bereits ungeduldig auf das Christkind, als Teresa und Robert in Sant Cugat zu Axel und Susanne kamen.
Der harte Kern der deutschen Kolonie war zur gemeinsamen Weihnachtsfeier geladen. Die Geschenke für die Erwachsenen sollten
lustig statt teuer sein, hatten sie ausgemacht. Der Zufall entschied, wer welche Gabe erhielt. Teresa zog eine türkisblaue
Boxershorts mit Snoopy-Figur in Männergröße. Sie zog sie gleich über ihre Jeans. Er saß auf einmal abseits auf der Couch.
In seinen Händen hatte er einen Stapel Papier und ging die Blätter hochkonzentriert durch. Dann stand er auf.
»Ich habe Teresa zu Weihnachten ein Gedicht geschenkt und möchte es ihr und euch vorlesen, weil ich weiß, was ihr in den letzten
Monaten mit mir durchgemacht habt. Dafür möchte ich euch danken.«
Er erzählte ihnen vom Zwerg.
Doch nun zu den positiven Dingen,
schon laut die Weihnachtsglocken klingen!
Auch der Zwerg freut sich auf das Fest,
das wird für ihn zum großen Test.
Schenkt er der Zwergin einen Hund?
Dann lacht ihr kleiner süßer Mund.
Schenkt er ihr eine dicke Katze,
macht sie auch ’ne liebe Fratze.
Was passiert, wenn es kein Tier ist,
sie dann irgendetwas vermisst?
Oder doch vor lauter Wut
ihrem kleinen Zwerg was tut?
Als er
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