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Robert Enke

Robert Enke

Titel: Robert Enke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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machen, sich erinnern, nach welchem Konzept er vor einigen Wochen mit Paco im Kraftraum
     bei Barça vorgegangen war. Aber ihm fehlten die Nerven, wild durcheinander absolvierte er irgendwelche Übungen. Er konnte
     nur denken: Die anderen sind jetzt beim Training, und ich hocke hier. Außer ihm waren Hausfrauen und ein paar Fernsehsternchen
     da.
    Er musste etwas essen. Jörg war im Büro, Tanja im Krankenhaus, sie arbeitete als Internistin. Vom Neptunbad kehrte er in die
     Krefelder Straße zurück. Häuser aus zwei Jahrhunderten reihten sich im Agnesviertel lückenlos aneinander, eine Glücksspielhalle
     stand einträchtig neben einem feinen französischen Restaurant, Eisenbahnüberführungen mitten durch das Viertel betonten den
     Charme des Rauen. An der Ecke Maybachstraße entdeckte er eine kleine Pizzeria. Mit italienischer Kochkunst hatte der Laden
     wenig gemein. Der Besitzer war wohl Araber, |225| vielleicht Marokkaner. Er war der einzige Gast. Der Käse auf der Pizza war zäh, fettig. Er achtete nicht darauf, ob es ihm
     schmeckte.
    »Da hast du gegessen?«, fragte Jörg. »Ich hätte mich da nicht reingetraut.« Morgens gab ihm Jörg Aufgaben für den Tag, einkaufen,
     selbst etwas zum Mittagessen finden, abends fragte er Robert ab, was er gemacht hatte, einen Depressiven musste man unterstützen,
     aber ihm nicht alles abnehmen, sonst redete er sich ein, dass er gar nichts mehr schaffe.
    Er kehrte in den nächsten Tagen noch manches Mal zum Mittagessen in die Pizzeria zurück. Der Besitzer tat ihm leid. Wenn er
     nicht kommen würde, wäre gar kein Kunde da.
    Abends ging es besser. Die lähmende Angst des Morgens, dass ein ganzer Tag vor ihm lag, ein Tag, an dem wieder so viele Dinge
     zu erledigen waren, an dem er wieder so viel nicht schaffen würde, löste sich abends in Erleichterung auf: Der Tag war praktisch
     vorüber. Niemand wollte mehr etwas von ihm.
    Abends schaute er sich mit Jörg Kinofilme an,
Meine Braut, ihr Vater und ich
, sie fuhren zum Fußball nach Leverkusen und gingen auf das Fest von Verena und Walter, es waren Jörgs Freunde, er kannte
     niemanden und blieb trotzdem bis drei am Morgen, ohne sich besonders unwohl zu fühlen. Die Gedanken kamen erst am Morgen.
    Ich habe das Gefühl, nie gelernt zu haben, richtig zu leben. Warum z. B. wollte ich nie feiern, warum bin ich am liebsten
     zu Hause, weshalb habe ich mich nie mit anderen Dingen beschäftigt?
    Ein neuer Versuch, sagte Jörg, der Oktober war schon bald vorbei. Er hatte am Rheinischen Klinikum einen Doktor Markser empfohlen
     bekommen. Die Praxis lag gleich in ihrer Nähe, nur über den Ebertplatz hinüber. Jörg wartete vor dem Haus, während Robert
     die Praxis betrat. Eine halbe Stunde verging, 45 Minuten.
    »Und?«, fragte Jörg, als die Tür schließlich aufging.
    »Kann man machen.«
     
    |226| Für einen Mann wie Doktor Valentin Markser, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ist es ein Geschenk, dass er nach
     35 Jahren in Deutschland noch immer mit kroatischem Akzent spricht. Der Akzent weicht das harte Deutsch auf. Dieselben Wörter,
     die bei anderen Psychiatern steif und theoretisch klingen, hören sich aus seinem Mund melodisch an.
    Die Freude am guten Essen ist an seiner Figur nicht spurlos vorbeigegangen, aber der Doktor gehört zur beneideten Gruppe von
     Männern, bei denen sich ein Bäuchlein wie natürlich in den bärigen Körperbau einfügt. Doktor Markser kann einen anschauen,
     und man ist sich sicher, er hört einem mit aller Aufmerksamkeit zu, über die ein Mensch verfügt.
    Er war Handballprofi, bevor er Psychiater wurde, beim VfL Gummersbach in den Siebzigern, Deutscher Meister, Europapokalsieger.
     Er war Torwart.
     
    Die Tage bekamen eine Struktur, Dinge wurden erledigt. Morgens ging er zum Krafttraining nicht mehr in das Neptunbad, sondern
     in ein Rehabilitationszentrum. Er trainierte mit spezialisierten Trainern unter verletzten Basketballprofis und Eishockeyspielern.
     Er gehörte wieder dazu. Er sagte den anderen Sportlern, er sei am Fuß verletzt, der Knöchel. Nach einer Weile tat ihm der
     Fuß wirklich weh.
    Täglich besuchte er Doktor Markser. Was er nie gelernt habe, sagte sein Psychiater, was er lernen müsse, sei, Fehler zu machen.
    Der beste Torwart, vielleicht auch der glücklichste Mensch war der, der mit seinen Fehlern zurechtkam. Er müsse sich beibringen,
     dass ein Fehler nie das ganze Spiel sei, ein Spiel war nie die ganze Saison, eine Saison war keine Karriere. Eine

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