Robert Enke
Karriere
ist nicht das Leben.
Nachmittags durfte er gelegentlich als Gast beim Torwarttraining des 1. FC Köln mitmachen. Fußball, es hatte schon beim Geächtetentraining
in Barcelona funktioniert, konnte er auch mit Depressionen spielen. Sein jahrelang geschulter Körper übernahm für den gelähmten
Kopf die Entscheidungen. Er flog, er reagierte blitzschnell auf Schüsse, obwohl verlangsamte Reaktionen doch eines der häufigsten
Symptome der Krankheit |227| darstellen. Er hielt die Schüsse. Er fühlte nichts dabei, nur Leere.
War gut heute, sagte Peter Greiber, der Torwarttrainer des 1. FC Köln, zu ihm. Und er bekam Angst. Hieß dies, dass er schon
bald wieder in den Profifußball einsteigen konnte; dass schon bald wieder etwas von ihm erwartet werden würde?
Die Telefonate mit Teresa taten ihm weh. Er musste ihr doch sagen, dass es ihm besser ging, das erwartete sie doch von ihm,
dass es sich gelohnt hatte, nach Köln zu gehen. Aber wie konnte er ihr das sagen, ohne dass sie es als Affront aufnahm, es
geht mir besser, weit weg von dir? Wie konnte er sagen, dass es ihm besser ging, wenn es ihm weiterhin schlecht ging?
Sie hatte ihn eine Woche lang besucht, Ende November würde sie wiederkommen. Doktor Markser sagte, er müsse mit Teresa streiten,
wenn ihn etwas störte, etwa das Herumrennen der Hunde im Haus.
Habe ihm gesagt, dass ich Konflikten am liebsten aus dem Weg gehe. Er zweifelt, ob ich mich selber, sprich meine eigenen Gefühle
und Gedanken, überhaupt ernst nehme.
Hast du es schon gehört, fragte ihn Jörg Neblung am 23. November 2003, Teresa war zum zweiten Besuch in Köln eingetroffen,
es war Freitag, Mittag, Jörg rief aus dem Büro an und hielt sich erst gar nicht mit der Frage auf, wo Robert gerade war.
Sebastian Deisler hatte sich wegen Depressionen in eine Klinik einweisen lassen.
Das größte deutsche Talent seit Günter Netzer!, hatten die Sportreporter am Bökelberg geschrien, als Deisler fünf Jahre zuvor
bei der Borussia wie eine Offenbarung in der Bundesliga gestartet war. Robert Enke hatte damals im Tor gestanden. Wie zu allen
Mitspielern außer zu Marco Villa war Robert Enke in Mönchengladbach auch mit Sebastian Deisler nur in oberflächlichem Kontakt
gewesen.
Morgens konnten sie in den Zeitungen, die Robert mit den Brötchen brachte, auf einmal ausführlichste Berichte über Depressionen
lesen.
|228| Depressionen waren keine Charakterschwäche, sondern eine Krankheit; eine demokratische Krankheit: Sie befalle Menschen ohne
Rücksicht auf deren Status, Erfolg, Stärke; unabhängig davon, ob diese Menschen alles hatten, was es nach unserer Meinung
zu einem glücklichen Leben braucht. Einer der standhaftesten Politiker der Moderne, Premierminister Winston Churchill, litt
genauso unter Depressionen wie die unbekannte Sekretärin, und nun Sebastian Deisler, der in den vergangenen Wochen für Bayern
München elektrisierend gespielt hatte. Depressionen konnten wie Krebs vielfältige Gründe und Formen haben, die von Deisler
nannte der behandelnde Arzt Florian Holsboer »eine typische Depression«. Denn es gebe bei Deisler »eine Veranlagung«, die
sich dann unter extremem Leistungsdruck bemerkbar gemacht habe. Die enormen Erwartungen des Publikums, er müsse Basti Fantasti,
der neue Netzer sein, seien vereint mit dem noch größeren Anspruch an sich selbst erdrückend geworden. In fünf Profijahren
hatte Deisler 15 Verletzungen und fünf Operationen durchgemacht.
Er war sich nicht sicher, was er von der Meldung halten sollte. Es tat gut zu lesen, dass er nicht der einzige Fußballer mit
Depressionen war, kein Monster. Andererseits spürte er einen Anflug von Neid. Deisler war in aller Munde und erfuhr von so
vielen Seiten Verständnis.
Der
Kicker
hat bei Jörg auch eine Andeutung zu meiner Person gemacht, aber bis jetzt war mein Name noch nicht in der Presse. Ich weiß
nicht, ob das gut oder schlecht ist.
Er gab weiter Interviews. Viele Anfragen gingen nicht mehr ein, der Sportjournalismus hat nur ein Kurzzeitgedächtnis, und
er hatte auch keine Lust zu reden. Was sollte er denn sagen, sein Fuß sei verletzt und in Istanbul habe er sich einfach nicht
wohlgefühlt? Doch Jörg hielt ihn an, zwei, drei Interviews nicht auszuweichen, Dinge zu erledigen, an einer Rückkehr in den
Fußball zu arbeiten, die vielleicht nie stattfinden würde.
Wenn er Doktor Markser gegenübersaß, war er sich sicher, er wollte wieder
Weitere Kostenlose Bücher