Robinson Crusoe
sich sein Lebtag nie von mir trennen wolle, bis ich ihn entließe, und daß er bis zum letzten Blutstropfen zu mir stehen wolle, wenn seine Landsleute mir auch nur im geringsten die Treue brächen. Er sagte mir, es seien alles sehr gesittete, anständige Leute und befänden sich jetzt in der ärgsten Notlage, die sich denken läßt, da sie selber weder Waffen noch Kleidung noch Nahrung hätten und ganz auf die Gnade der Wilden angewiesen seien, ohne jede Hoffnung, jemals in ihr Vaterland zurückzukehren, und er sei überzeugt, wenn ich ihnen zur Rettung verhülfe, würden sie mir auf Leben und Tod ergeben sein.
Auf diese Versicherungen hin beschloß ich, den Versuch zu wagen und den alten Wilden und den Spanier zu Verhandlungen hinüberzusenden. Doch als alles zur Abfahrt fertig war, erhob der Spanier selber einen Einwand, aus dem so viel Klugheit und Aufrichtigkeit sprach, daß ich nur zustimmen konnte.
Er riet mir nämlich, die Befreiung seiner Kameraden noch wenigstens ein halbes Jahr hinauszuschieben, aus folgendem Grunde: Er war jetzt einen Monat bei
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uns, und während dieser Zeit hatte ich ihn sehen lassen, auf welche Weise ich mit Gottes Hilfe für meinen Unterhalt gesorgt hatte. Vor allem hatte er auch meinen Vorrat an Korn und Reis gesehen, der zwar für mich allein mehr als ausreichend war, aber selbst bei gutem Haushalten für meine Familie, die jetzt auf vier Köpfe angewachsen war, nicht genügen konnte und noch viel weniger, falls seine sechzehn Landsleute dazugekommen wären. Am allerwenigsten aber würde er gereicht haben, um das Boot zu verproviantieren, das wir bauen wollten, um nach einer christlichen Kolonie Amerikas zu fahren. Er sagte mir, es dünke ihm ratsamer, ihn und die beiden anderen noch mehr Land anbauen und umgraben zu lassen, soviel Korn wie möglich für die Aussaat zu sparen und dann die nächste Ernte abzuwarten, damit wir auch einen Vorrat an Korn für seine Landsleute hätten, wenn sie herüberkämen. Denn Hunger würde sie vielleicht zur Unzufriedenheit verführen und zu der Behauptung, sie seien um ihre Befreiung betrogen und nur aus einer Not in die andere gelockt worden.
«Denn», sagte er, «Ihr wißt, wie die Kinder Israels zuerst über den Auszug aus Ägypten jubelten und hernach doch gegen Gott murrten, als sie in der Wüste kein Brot hatten.»
Seine Bedenken waren so richtig und sein Rat so gut, daß mir sein Vorschlag sowohl wie seine Ehrlichkeit ungemein gefielen. Also machten wir vier uns ans Umgraben, so gut es mit unseren Holzspaten ging, und nach einem Monat hatten wir Land genug für 22 Scheffel Gerste und 16 Scheffel Reis beackert; dies war alles Saatkorn, das wir missen konnten, und dabei behielten wir nicht einmal genug Gerste zu
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unserer eigenen Ernährung für die sechs Monate bis zur neuen Ernte, das heißt, schon von der Zeit an gerechnet, wo wir die Saatgerste beiseite legten; denn man darf nicht etwa meinen, daß in dieser Gegend die Saat sechs Monate zum Reifen braucht. Da wir nun in genügend großer Gesellschaft waren, um uns vor den Wilden nicht zu fürchten, so streiften wir frei überall auf der Insel herum, wann immer sich Gelegenheit dazu bot. Der Gedanke an unsere Flucht verließ uns nie, und so konnte wenigstens ich mich nicht enthalten, auf Mittel und Wege dazu zu sinnen.
Ich bezeichnete verschiedene Bäume, die ich zu unserem Werk für tauglich hielt, und ich ließ sie von Freitag und seinem Vater fällen. Dann befahl ich dem Spanier, dem ich meine Gedanken anvertraute, ihre Arbeit zu überwachen. Ich zeigte ihnen, mit wie unermüdlicher Geduld ich aus einem großen Baum eine Planke gemacht hatte, und hieß sie das gleiche tun, bis sie ungefähr ein Dutzend große
Eichenplanken, fast zwei Fuß breit und fünfunddreißig Fuß lang, fertig hatten. Was das für ungeheure Mühe kostete, kann sich jeder vorstellen.
Gleichzeitig war ich bedacht, meine kleine Herde zahmer Ziegen soviel wie möglich zu vergrößern, und schickte zu dem Ende abwechselnd an einem Tag Freitag und den Spanier auf die Jagd und ging am andern selber mit Freitag. Auf diese Art fingen wir zwanzig junge Ziegen, die wir mit den anderen aufzogen; denn immer, wenn wir eine alte schössen, nahmen wir ihre Jungen mit und steckten sie in unsere Herde. Vor allem aber nahte jetzt die Zeit, wo die Trauben getrocknet werden mußten, und ich ließ
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eine so ungeheure Menge in die Sonne hängen, daß ich glaube, wenn wir in Alicante gewesen wären, wo die
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