Robinson Crusoe
Rosinen herkommen, so hätten wir sechzig oder achtzig Fässer damit füllen können. Diese Rosinen, zum Brot verspeist, bildeten einen Hauptteil unserer Nahrung, und sie schmeckten wahrlich nicht schlecht und waren sehr nahrhaft. Nun kam die Ernte, und unser Getreide stand recht gut. Es wurde zwar nicht die reichste Ernte, die ich auf der Insel erlebt hatte, genügte aber doch für unsere Zwecke. Von
zweiundzwanzig Scheffeln Gerste ernteten und droschen wir ungefähr zweihundertzwanzig Scheffel und ebensoviel Reis im Verhältnis. Das war Vorrat genug bis zur nächsten Ernte, mochten auch alle sechzehn Spanier bei mir auf der Insel sein. Es hätte auch reichlich gelangt, um unser Boot für die Fahrt nach irgendeinem Ort Amerikas zu versorgen. Nun gingen wir daran, noch mehr große Körbe zu flechten, um das Korn darin zu verwahren. Der Spanier war hierin besonders geschickt und warf mir oft vor, warum ich denn derlei Geflecht nicht zur
Verschanzung benutzte. Das hielt ich aber für überflüssig.
Als ich nun reichlich mit Vorrat für alle zu erwartenden Gäste versorgt war, gab ich dem Spanier Urlaub, um nach dem Festland hinüberzufahren und zu sehen, was sich mit seinen zurückgebliebenen Gefährten anfangen ließe. Ich gab ihm strengen Befehl, keinen mitzubringen, der nicht in seiner und des alten Wilden Gegenwart geschworen hätte, daß er die auf der Insel befindliche Person, die so gütig sei, ihnen jemand zu ihrer Befreiung zu schicken, in keiner Weise verletzen, bekämpfen und angreifen, sondern
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ihm gegen alle Anfälle beistehen und allerorten sich ihrem Befehl unterwerfen wolle. Dies sollten sie schriftlich aufsetzen und eigenhändig unterschreiben.
Wie das geschehen sollte, da sie ja weder Tinte noch Feder hatten, danach fragten wir nicht.
Mit diesen Verhaltungsmaßregeln fuhren der Spanier und der alte Wilde in demselben Kanoe ab, in dem sie zum Fraß hergeschleppt worden waren. Ich gab jedem von ihnen eine Muskete mit einem Feuerschloß und acht Ladungen Pulver und Blei und legte ihnen ans Herz, recht sparsam damit zu sein und sie nur in dringender Not zu benutzen. All das tat ich mit Lust; denn es geschah ja zu meiner Befreiung, die mir nun nach siebenundzwanzig Jahren und einigen Tagen winkte. Ich gab ihnen auch Brot und getrocknete Trauben auf einige Tage und für ihre Landsleute auf eine Woche, wünschte ihnen glückliche Reise und ließ sie abfahren, nachdem wir zuvor noch ein Signal verabredet hatten, das sie bei ihrer Rückkehr hissen sollten, damit ich sie schon von weitem erkennen könnte. Sie fuhren bei gutem Wind davon, an dem Tage vor Vollmond, meiner Rechnung nach im Oktober.
Ich hatte schon eine ganze Woche auf sie gewartet, als ein seltsames und unerwartetes Ereignis dazwischenkam,
desgleichen wohl noch nie
vernommen wurde. Eines Morgens schlief ich fest in meinem Bau, als plötzlich Freitag zu mir hereinstürzte und schrie: «Herr, Herr! sie sind da! sie sind da!» Ich sprang auf, fuhr, so schnell ich konnte, in meine Kleider und lief, unbekümmert um alle Gefahr, ganz ohne Waffen durch mein Wäldchen hinaus, das
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beiläufig jetzt zu einem dichten Wald geworden war.
Kaum hatte ich einen Blick auf die See hinaus geworfen, so sah ich zu meinem Erstaunen in anderthalb Seemeilen Entfernung ein Boot mit einem Gigsegel, das mit dem Wind auf die Küste zuhielt.
Auch sah ich gleich, daß es nicht von der Seite des Festlandes kam, sondern von dem südlichsten Ende der Insel her. Ich rief daher Freitag ins Haus und befahl ihm, sich gut versteckt zu halten; denn die seien nicht die Erwarteten und wir könnten noch nicht wissen, ob es Freunde oder Feinde seien.
Ich holte mein Fernglas, nahm die Leiter und stieg auf den Hügel, wie ich immer tat, wenn etwas Bedrohliches in Sicht war; denn dort hatte ich gute Aussicht, ohne selber gesehen zu werden.
Ich hatte kaum meinen Fuß auf den Hügel gesetzt, so erkannte ich deutlich ein Schiff vor Anker, ungefähr zwei Seemeilen weit südsüdöstlich vor mir, aber nicht mehr als anderthalb Seemeilen von der Küste entfernt. Durch mein Glas zeigte sich deutlich, daß es ein englisches Schiff war, und das Boot erwies sich als ein englisches Langboot.
Ich kann nicht beschreiben, in was für eine Verwirrung ich geriet. Zwar war die Freude, ein Schiff zu sehen, und noch dazu eins, das allem Anschein nach mit Landsleuten, also mit Freunden, bemannt war, unaussprechlich groß. Dennoch wurde ich gewisse heimliche Zweifel nicht los, die mir
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