Robinson Crusoe
und ich begann mir Vorwürfe über mein vergangenes Leben zu machen, indem ich durch meine ungemeine Schlechtigkeit die
göttliche Gerechtigkeit
herausgefordert hatte, mich mit so ungewöhnlich schweren Schlägen zu treffen und rächend
heimzusuchen.
Diese Gedanken quälten mich seit dem zweiten oder dritten Tag meiner Krankheit, und die Gewalt des Fiebers und diese schrecklichen Vorwürfe meines Gewissens entrangen mir Worte, eine Art Gebet zu Gott, obwohl ich es nicht eigentlich ein Beten voll Wunsch und Hoffnung nennen kann; vielmehr war es die Stimme bloßer Furcht und Verzweiflung. Meine Gedanken waren verwirrt, die Schuld lag schwer auf meiner Seele, und das Grauen, in so schrecklicher Lage sterben zu müssen, trieb mir das Blut bei der bloßen Vorstellung zu Kopf. Und in diesem Aufruhr meiner Seele wußte ich nicht, was meine Zunge lallte.
Aber es waren etwa Ausrufe wie: «Herr, was für ein elendes Geschöpf bin ich! Wenn ich krank werde, werde ich sicher ohne Hilfe sterben; was soll aus mir werden?». Dann brachen mir die Tränen aus den
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Augen, und ich konnte für lange Zeit nichts mehr sagen.
Mittlerweile fiel mir der gute Rat meines Vaters ein und seine Prophezeiung, die ich am Anfang dieser Geschichte erwähnte, nämlich, daß Gott mich nicht segnen würde, wenn ich diesen tollen Schritt täte, und daß ich noch einmal Muße genug haben würde, über meine Verstocktheit nachzudenken, wenn ich keine Menschenseele haben würde, die mir beistände.
«Jetzt», sagte ich laut, «erfüllen sich meines lieben Vaters Worte an mir: Gottes Gerechtigkeit hat mich ergriffen, und ich habe niemanden, mir zu helfen oder mich zu hören; ich war taub für die Stimme der Vorsehung, die mich in ihrer Güte in einen Stand oder eine Lebenslage versetzt hatte, worin ich mich hätte glücklich und behaglich fühlen können; aber ich wollte weder selbst einsehen noch von meinen Eltern lernen, welcher Segen das war; ich ließ sie in Gram über meine Torheit zurück, und nun liege ich selber hier in Gram über die Folgen; ich wies ihre Hilfe und ihren Beistand von mir, der mich in der Welt emporgebracht und mir alles leicht gemacht hätte, und nun habe ich mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die über
Menschenkraft gehen, und keinen Beistand, keinen Trost, keinen Rat.» Und nun schrie ich laut: «Herr, hilf mir, denn ich bin in großer Not!»
Dies war seit Jahren mein erstes Gebet, wenn ich es so nennen darf. Aber ich kehre zu meinem Tagebuch zurück.
28. Juni. Da ich durch den Schlaf etwas erfrischt und der Anfall vorüber war, stand ich auf, und obwohl die Angst und der Schrecken über meinen Traum sehr
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groß waren, bedachte ich doch, daß der Fieberanfall sich morgen wiederholen könnte und daß ich meine Zeit nützen müßte, um zusammenzutragen, was mich erfrischen und stärken könnte, wenn ich krank läge.
Als erstes füllte ich eine große viereckige Flasche mit Wasser und setzte sie auf meinen Tisch, in erreichbarer Nähe von meinem Bett, und um dem Wasser die Kälte zu nehmen, goß ich ein Quart Rum dazu und schüttelte beides durcheinander. Dann schnitt ich mir ein Stück Fleisch von der Geiß ab und briet es über Kohlen, konnte aber nur sehr wenig davon essen. Ich ging aus, war aber sehr schwach und vor allem sehr traurig und schwermütig durch das Bewußtsein meiner elenden Lage und immer voll Furcht vor der Wiederkehr meiner Krankheit am nächsten Tage. Abends machte ich mir Abendbrot von drei Schildkröteneiern, die ich in der Asche briet und aus der Schale aß. Und dies war in meinem ganzen Leben, soweit ich mich erinnere, die erste Mahlzeit, bei der ich Gott um seinen Segen bat. Nachdem ich gegessen hatte, versuchte ich noch einmal
auszugehen; aber ich war so schwach, daß ich kaum das Gewehr tragen konnte; denn das nahm ich immer mit. So ging ich nur ein kleines Stück und setzte mich auf den Boden, auf die See hinausschauend, die just vor mir lag und sehr still und glatt war. Als ich so saß, kamen mir folgende Gedanken: Was sind Erde und Meer, von denen ich so viel gesehen habe? Woher sind sie erschaffen? Und was bin ich und all die anderen Geschöpfe, wilde und zahme, Menschen und Tiere?
Woher sind wir? Sicherlich sind wir alle durch eine geheime Macht, die auch Erde und Meer geschaffen hat, entstanden. Und welche ist das?
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Darauf folgte ganz natürlich: Es ist Gott, der alles geschaffen hat; nun, und wenn Gott alle Dinge geschaffen hat, so führt und regiert er sie auch
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